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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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aufwärmen.

    Ich hatte die Tür schon fast erreicht, als ich im Augenwinkel
links vom Eingang, im Licht der Schaufenster, zwei massige Unterschenkel mit
schweren Springerstiefeln an den Füßen entdeckte.

    Ich schwenkte ab.

    Die Dicke saß mit ausgestreckten Beinen auf der kleinen
Betonstufe, den Kopf an einen der grün gestrichenen Stahlträger gelehnt, die
den Dachüberstand stützten. Sie trug keine Mütze, in der einen Hand hielt sie
eine Bierflasche, in der anderen eine Zigarette und unter ihrer Bomberjacke war
ihr zu enges Shirt hochgerutscht. Eine nackte Fettrolle quoll hervor. Bei dem
Anblick fingen meine Knie automatisch an zu schlottern.

    Ich trat vor das Mädchen. Die Kälte musste seinen nackten
Rücken an dem Stahlträger festfrieren lassen. Die tief in dem zerknautschten
Gesicht versunkenen Augen hielt Dicke halb geschlossen. Ihre kurzen Finger
umklammerten den Hals der Flasche. Die Hände waren knallrot, an den Knöcheln
aufgeplatzt, doch sie zitterten nicht. Nichts an ihr bewegte sich.

    Lebt die überhaupt noch?, ging es mir durch den Kopf.
Mein Herz hüpfte gegen mein Brustbein. Was, wenn nicht?

    Hastig sprach ich sie an: »He! Wach auf!«

    Dicke öffnete ein Auge.

    Erleichtert atmete ich auf. »Wie isses?«, erkundigte ich
mich. »Weißt du, wo ich Engel finde?«

    Dicke rülpste lang gezogen.

    Vollstramm. Vielleicht eine gute Gelegenheit, etwas Wissenswertes
aus dem sonst so misstrauischen Mädchen herauszukitzeln.

    Â»Oder meinetwegen auch Bohne?«, bohrte ich direkt.

    Dicke rülpste noch mal und schloss das Auge wieder.

    Â»Oder Fliege?«

    Â»Leck mich, Lila!«

    Hoffnungslos. Na ja, zumindest machte meine Neugier sie
heute nicht aggressiv.

    Â»Du solltest reingehen. Wird verdammt kalt«, meinte ich.

    Dicke rührte sich natürlich nicht.

    Einen Augenblick lang stand ich unentschlossen neben der
Betrunkenen. Doch meine bebenden Beine halfen meiner Entscheidungsfreude zügig
auf die Sprünge.

    Â»Ey, ich meine das ernst, Dicke!«, klopfte ich auf ihre
Schulter. »Du frierst hier fest, wenn du deinen Arsch nicht reinbewegst.«

    Einen kurzen Moment lang öffnete Dicke beide Augen. »Und?
Wen kümmert’s?«

    Kurz starrten wir uns an, dann fielen ihre Augen schon wieder
zu.

    Â»Mich!« Entschlossen packte ich ihren Arm.

    Jetzt gab das Mädchen ein drohendes Brummen von sich.

    Â»Los, hoch mit dir!«, ließ ich mich nicht beirren und zerrte
sie auf die Füße.

    Dicke taumelte zur Seite und riss mich mit sich. Ich packte
mit beiden Händen ihren breiten Oberarm und zerrte sie zurück. Als ich sie
einigermaßen ausbalanciert hatte, hob ich ihren Arm über meine Schultern und
stemmte mich unter ihre Achsel. Der scharfe Geruch von in Hautfalten angesammeltem
Schweiß stieg mir in die rot gefrorene Nase. Zusammen mit den nach Nikotin
stinkenden Fingern auf meiner Schulter und ihrem Bieratem verursachte das einen
beachtlichen Brechreiz.

    Â»Lass mich!« Dicke zappelte unkoordiniert. »Lass mich
hier sitzen.«

    Â»Vergiss es.« Ich schubste die Dicke zum Bahnhofseingang.

    Die selbstöffnende Tür surrte zur Seite. Wir tauchten in das
windgeschützte Bahnhofsinnere ein wie in eine warme Badewanne. Bunte
Kioskreklamen und künstliches Licht erleuchteten die Halle. Klappernde Absätze
und Lautsprecherdurchsagen ersetzten das Pfeifen des Windes, es roch nach
frischen Backwaren und den Pflanzen eines Blumenladens.

    Endlich ließ das Brennen meiner Wangen nach, meine Nase
wurde heiß und begann zu pochen.

    Ich steuerte die taumelnde Betrunkene zwischen einigen
Kofferschiebenden hindurch. Obwohl die Menschen an uns vorbeiguckten, als wären
wir unsichtbar, wichen alle automatisch aus.

    Nur die drei Teenager, die ebenfalls im Bahnhof Unterschlupf
vor der Kälte gesucht hatten, beäugten uns misstrauisch.

    Â»Was glotzt ihr, ihr Penner?« Ehe ich mich versah, stürmte
Dicke brüllend los. »Ich polier euch die Fresse, blöde Spanner!«

    Hastig wichen die drei vor ihr zurück.

    Ich warf mich gegen die Dicke und schaffte es mit einiger
Mühe, sie an den drei Jungen vorbeizulenken.

    Â»Ich hau euch die Fresse blau!«, blaffte Dicke wütend weiter
und kippte zur Seite wie ein gefällter Baum.

    Ich hatte keine Chance, ihr Gewicht zu halten. Sie
krachte mit dem Gesicht gegen einen gelben Fahrplan hinter

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