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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Staschek
weiter, wohl hauptsächlich, um mich zurückzuhalten. »Soweit das möglich ist. Es
handelt sich zweifelsfrei um den Obdachlosen, den wir alle unter dem Namen
Fliege kennen.«

    Â»Edgar«, bestätigte ich, während ich in die Hocke ging
und unter der Bank hindurchsah.

    Der Penner starrte mich an, die Augen weit aufgerissen.
Sein Mund stand offen. Ein klaffendes schwarzes Loch zwischen den Blutkrusten
seiner aufgeplatzten Lippen und gelb hervorragenden Zähnen.

    Â»Du kennst seinen richtigen Namen?«, merkte Staschek.

    Ich musste lange hinsehen, um Fliege wiederzuerkennen.
Sein gewöhnlich hochrotes Gesicht war blaugrau verfärbt. Die rissigen Lippen
fast schwarz. Alte Aknenarben, geplatzte Adern und Bartstoppeln zeichneten
violette Linien und Krater in die tote Haut. Seine verfilzten Haare standen als
schmutzige Eiszapfen von seinem Kopf ab.

    Die linke Schläfe, das linke Ohr, Haare, Wange und Hals
waren dunkelrot-schwarz verkrustet. Gut zu erkennen, weil er auf der rechten
Seite lag.

    Blut, begriff ich. Flieges Gesicht war blutüberströmt.

    Â»Edgar und wie weiter?«, wollte Staschek von mir wissen.

    Ich hatte in meinem Leben noch nicht viele Leichen gesehen.
Nicht genug jedenfalls, um beim Blick in die Augen eines Toten nebenbei noch
lässig auf Stascheks Fragen antworten zu können.

    Meine Gedanken wirbelten durcheinander wie die winzigen
Schneeflocken im Winterwind.

    Hätten wir das verhindern können? Hätte es etwas geändert,
wenn wir Fliege ins Krankenhaus gebracht hätten? Oder in eine
Ausnüchterungszelle? Statt ihn einfach vor die Tür zu setzen?

    Natürlich hätte es das. Scheiße.

    Ich kämpfte gegen eine Mischung aus Schwindel und Übelkeit.

    Â»Lila. Kennst du seinen Nachnamen?«

    Ich schüttelte den Kopf. Noch immer hockte ich auf Händen
und Knien vor der Parkbank, als wäre mein Blick an dem toten Obdachlosen
festgefroren. Ich konnte spüren, wie sich die Details in mein Gedächtnis brannten.
Das klein karierte Sakko, die kurzen, kräftigen, krallenartig verkrampften
Finger, die bröckelnden Nägel, die fransige, rosa Fliege im vereisten Bart, die
irgendwie gar nicht dorthin zu gehören schien.

    Schließlich legte mir Staschek die Hände auf die Schultern
und zog mich zurück.

    Â»Wie lange ist er schon tot?«, krächzte ich, als ich
wieder auf den Beinen stand.

    Â»Schwer zu sagen«, antwortete der Kommissar. »Die Kälte
verzögert die Verwesung. Und im Gebüsch hinter der Bank war er kaum zu sehen,
der kann da schon eine Weile gelegen haben.«

    Ein Geist von der Spurensicherung blinzelte mit dick getuschten
Wimpern durch eine schwarze Nana-Mouskouri-Brille über die Parkbank hinweg.

    Â»Könnt ihr nicht ordentlich absperren?«, erkundigte sich
die Frau gereizt.

    Â»Das ist Blut!?« Ich deutete auf das verkrustete linke
Ohr des Leichnams.

    Â»Er ist nicht erfroren, oder?«, vermutete auch Danner.

    Â»Sie sind kein Polizist mehr, Danner«, fauchte die Spurensicherin
verärgert. »Also verziehen Sie sich, bevor Sie die letzte brauchbare Spur
zertrampelt haben!«

    Â»Meinen Sie, er ist besoffen von der Bank gekippt, hat
sich den Kopf angeschlagen und ist liegen geblieben?«, wollte auch Staschek von
dem giftigen Geist wissen.

    Â»Wenn ich das jetzt schon wüsste, könnten wir Feierabend
machen und uns die ganze Spurenauswertung und die Autopsie sparen. Wie
preisgünstig.«

    Staschek schob seine Bommelmütze ins Genick und strich
sich eine darunter hervorwippende Locke aus der Stirn: »Aber Sie haben doch
bestimmt schon eine Vermutung, Sieglinde.«

    Genau registrierte ich den schnurrenden Tonfall in Stascheks
Stimme, der weiblichen Wesen Sexfantasien mit dem feschen Hauptkommissar
geradezu aufdrängte.

    Und tatsächlich straffte der gereizte Geist plötzlich die
Schultern und wippte das Becken zur Seite, ohne zu registrieren, dass seine
Figur in dem übergroßen Overall sowieso nicht optimal zur Geltung kam.

    Â»Weil du es bist, Lenny«, gab die Frau tatsächlich nach.
»Ich halte einen Schädelbruch für wahrscheinlich. Um eine derartige Verletzung
hervorzurufen, müsste der Tote schon sehr ungünstig auf eine harte Kante oder
einen Stein gefallen sein. Allerdings haben wir einen solchen Stein im direkten
Umfeld der Leiche nicht entdeckt. Außerdem liegt er auf der rechten Seite,

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