Fliege machen

mir nicht sicher, denn ich
selbst hatte nie zu den pink-besessenen Barbie-Freundinnen gehört, die für ihre
durchschnittlich sechzig Puppen nicht nur die Villa mit Swimmingpool, sondern
auch die Jacht, die Pferderanch und das Wohnmobil besaßen. Und den glatt
rasierten Cowboy-Ken meines Bruders hatte ich geköpft.

    Ich war in der Tür zum Kinderzimmer stehen geblieben und
betrachtete nachdenklich den Raum. Oder war das ganze Zimmer vielleicht nach
Engels Verschwinden so dekoriert worden? War, was ich hier sah, nur eine
Kulisse? Aufgebaut, um eine behütete Kindheit zu demonstrieren, die keinen
Anlass für eine Flucht auf die Straße bot?

    Ich folgte Caspari und Danner in ein ebenfalls aufgeräumtes
Wohnzimmer mit sandfarbener Sofaecke. Mein Blick wanderte aus dem Fenster in
einen eckigen Garten, in dem einige Plastikmöbel gestapelt standen.
Schneeflocken tanzten durch das Licht, das aus den Wohnzimmerfenstern auf die
Terrasse fiel.

    War hier überhaupt noch irgendetwas so, wie vor Engels
Flucht? Oder war die ganze Wohnung eine einzige Rechtfertigung?

    Danner nahm auf einem sandfarbenen Sessel Platz, ich auf
dem Sofa.

    Â»Wir wollen nicht lange stören.«

    Â»Worum geht es?« Caspari setzte sich auf die andere Seite
des Ecksofas, so weit wie möglich von mir entfernt, rutschte nach vorn auf die
Kante, schlug die Beine übereinander, stellte sie wieder hin. »Ist mit Ninas
Schwangerschaft was nicht in Ordnung?«

    Â»Nein, nein«, beruhigte ihn Danner schnell. »Wir haben
bloß eine Zuständigkeitenänderung in der Behörde. Ich übernehme Ninas Betreuung
vom Kollegen Borze-Filzhut. In diesem Fall ist ein wenig Eile geboten, da Ihre
Tochter in Kürze in einem Mutter-Kind-Haus untergebracht werden soll.«

    Caspari wischte mit den Händen nicht vorhandene Krümel
vom Sofapolster: »Sie kann hier wohnen. Mit dem Kind. Das weiß sie auch.«

    Â»Sie will aber nicht«, behauptete ich.

    Â»Weil sie lieber säuft, als in die Schule zu gehen«,
ereiferte sich Engels Vater.

    Tja, mit diesem Interessenkonflikt war Engel nicht
allein. Tausende anderer Teenager hatten ebenfalls Eltern, die ihnen nahelegten,
einen Schulabschluss zu machen, statt sich zu besaufen. Trotzdem brachen nicht
alle die Schule ab, lebten auf der Straße und ließen sich von einem Penner
schwängern.

    Was war hier schiefgegangen?

    Casparis knitterfreies Hemd war unter den Hosenträgern
ein wenig hochgerutscht, er fummelte es wieder herunter.

    Â»Kennen Sie den Vater von Ninas Kind?«

    Mit blassen Augen musterte der kleine Mann meine zu
kurzen Haare. »Sie sagt mir nicht, wer es ist. Aber ich tippe auf ihren
Exfreund, diesen Spinner. Hab ihn angezeigt, immerhin ist der schon
volljährig.«

    Als er meinen Blick bemerkte, sah er schnell in eine andere
Richtung.

    Er war unsicher.

    Â»Was ist mit Ninas Mutter?«, wollte Danner wissen.

    Der Dünne schüttelte den Kopf: »Meine Exfrau lebt in
München. Ist vor drei Jahren mit ’nem Säufer abgehauen, den sie in der Reha
kennengelernt hat. Wenn sie nicht zu betrunken ist, schreibt sie Nina eine
Karte zum Geburtstag.« Caspari wischte jetzt mit den Händen über den sauberen
Couchtisch. »Nina kommt immer mehr nach ihrer Mutter.«

    Â»Haben Sie oft Kontakt zu Ihrer Tochter?«, erkundigte
sich Danner.

    Engels Vater faltete die Hände wieder im Schoß, wahrscheinlich,
um sich selbst daran zu hindern, ständig irgendetwas wegzuwischen. »Wir hatten
schon mal Gespräche, mit Herrn Borze-Filzhut zusammen.«

    Danner nickte.

    Â»Manchmal taucht sie nicht auf, wenn wir verabredet
sind.«

    Â»Warum, denken Sie, ist sie von zu Hause abgehauen?«

    Der Mann zuckte die mageren Schultern: »Ich wollte nicht,
dass sie trinkt. Natürlich gab es deswegen Streit. Sie war ja erst zwölf, als
sie damit angefangen hat. Nachdem ihre Mutter weg war. Als ob sie sie ersetzen
wollte. Hat den Schnaps in ihrem Zimmer gebunkert. Ich hab die Flaschen
natürlich gefunden. Glauben Sie mir, inzwischen kenne ich jedes Versteck. Ich
hab ihr Hausarrest verpasst, damit sie sich nicht draußen mit ihren Freundinnen
besäuft. Erst ist sie abends immer länger weggeblieben, irgendwann über Nacht,
dann für ein paar Tage. Und schließlich ist sie gar nicht mehr aufgetaucht.«

    Er bestätigte, was Engel mir erzählt hatte. Ihr überbesorgter
Vater hatte sie schlicht