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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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genervt.

    Â»Haben Sie sie geschlagen?«, fragte ich direkt.

    Seine Hände krallten sich ineinander: »Das habe ich schon
gesagt: Nie. Lesen Sie die Akte.«

    Engel selbst hatte auch nicht von Schlägen gesprochen.
Außerdem wirkte der nervöse, kleine Mann eher bemitleidenswert als
beängstigend.

    Konnten besorgte Eltern ein Grund sein, von zu Hause
wegzulaufen? Was wäre gewesen, wenn sich meine Mutter um mich gekümmert hätte,
statt wegzusehen, wenn mein Vater mich verdrosch? Wenn mein Vater über meine
blauen Haare nur geschimpft hätte, statt zuzuschlagen?

    Ich konnte es mir nicht vorstellen.

    Â 

34.

    Â»Häh?«, brummte die quadratische,
kleine Frau, die praktisch die gesamte untere Hälfte des Türrahmens ausfüllte.
Vom fettigen Mittelscheitel hing das farblose Haar herunter auf einen
kastenartigen Busen. Einen Hals besaß die Frau nicht, ihr Kopf schien direkt
über ihrer Brust zwischen den breiten, hochgezogenen Schultern befestigt zu
sein. Den Rest ihrer Figur verhängte ein schlabberiges XXL-T-Shirt, aus dem
unten zwei baumstammartige Beine ragten.

    Die Ähnlichkeit mit der Dicken war verblüffend.

    Â»Ã„hm, Frau Meier? Jugendamt. Mein Name ist Ziegler, dass
ist mein Kollege Herr Danner. Wir kommen wegen Ihrer Tochter Miriam.«

    Die Winkel des kurzen Mundes der Frau zogen sich noch ein
wenig weiter nach unten. Die Frage nach der Verwandtschaft konnte ich mir
sparen. Zweifellos hatten wir Dickes Mutter gefunden. Diesmal bekam Staschek
Fakten für seine Kohle.

    Als ich den Namen ihrer Tochter erwähnte, stöhnte die
Dicke-Mutter. »Ich hab da nix mit zu tun, wie oft soll ich das denn noch
sagen?«

    Danner und ich wechselten einen kurzen Blick.

    Â»Können wir reinkommen?«

    Die Frau zerknautschte ihr grimmiges Gesicht und trat zur
Seite.

    Hier passte das Verwahrlosungsklischee. Kindergeschrei
gellte durch die Wohnung. In einem chaotischen Wohnzimmer mit zugezogenen
Vorhängen stritten zwei moppelige Jungen im Alter von vielleicht vier und sechs
Jahren auf einer durchgesessenen Couch um ein Videospiel. Dabei rempelten sie
einen dritten Jungen an, der wohl gut fünfzehn Jahre älter als die beiden
Kleinen war. Sein lautes, rotes Handy gab Geräusche von sich, die verdächtig
nach Schüssen klangen. Er tickerte auf den Tasten herum wie auf einem Gameboy.
Außerdem plärrten im laufenden Fernseher in der Ecke sieben bis zehn
Talkshowgäste durcheinander.

    Die Szene kam mir unecht vor, als wäre sie extra für eine
dieser Super-Nanny-Dokuserien gestellt worden.

    Â»Ey! Pass auf, du Wicht, sonst wandert das Ding aus dem
Fenster!«, fuhr der große Junge den Kleinsten an. Der Jugendliche war ebenfalls
dicklich, der speckige Schädel kahl geschoren, und einen Augenblick lang
überlegte ich, ob es sich auch um den Lebensabschnittsgefährten der Mutter
handeln könnte. Dann flitzten seine kleine Augen an mir hoch und der Anblick
seines Kampfhundegesichts verschaffte mir das nächste Déjà-vu. Auch er war mit
der Dicken verwandt. Also drei Brüder.

    Â»Klappe!«, kläffte die Mutter, und einen Moment lang
hatte ich das Gefühl, in die Zukunft gereist zu sein und die Dicke zu sehen,
wie sie in zwanzig Jahren lebte. »Raus hier! Alle! Räumt eure Zimmer auf!«

    Die beiden Kleinen zogen die Köpfe ein und flitzten hinaus.

    Â»Und nehmt euren Dreck mit!« Sie griff ein Spielzeugauto
und eine Dino-Brotdose und schleuderte sie den Jungen hinterher auf den Flur.

    Der Große blieb wie hypnotisiert vor dem Bildschirm sitzen.

    Â»Du auch, Max! Haste’s anne Ohrn, oder was?« Die Dicke-Mutter
nahm ihrem Sohn das Handy aus der Hand.

    Â»Ey, du tickst wohl nicht sauber, Alte! Ich bin mitten im
Spiel!«

    Â»Jetzt nich mehr. Ab!«

    Â»Blöde Schlampe!« Er entriss seiner Mutter das Mobiltelefon
wieder. »Wenn die mich jetzt killen, krieg ich ’n Anfall.«

    Â»Wenn du nicht bei drei draußen bist, krieg ich ’n
Anfall!«

    Der Junge schnellte auf die Füße. Dickes Bruder überragte
seine kleine, quadratische Mutter um einen guten Kopf. Obwohl er nicht ganz so
übergewichtig wirkte, brachte er durch seine Größe bestimmt das gleiche
Kampfgewicht auf die Waage wie sie. Unkontrollierter Zorn flackerte in den tief
liegenden Augen des Jungen und ließ seine Mutter Zentimeter zurückweichen.

    Das Gesetz des Stärkeren: Wer

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