Fliege machen

endlose Sekunden, bis
sie zu begreifen schien. »Edgar ist – tot?«

    Â»Wussten Sie, dass Ihr Exmann hier in Bochum gelebt hat?
Als Obdachloser?«

    Susi starrte Staschek staunend an.

    Blödes Weibchen! Genervt drehte ich mich wieder zu dem
Foto im Fachwerk.

    Kalle Thurna war betrunken gewesen, als er verunglückte,
überlegte ich. War er auch ein Alkoholiker gewesen wie Edgar Guski? War Susi
eine der dussligen Frauen, die immer wieder an den gleichen Typ Männer gerieten?

    Ich hatte darüber gelesen. Über Koabhängigkeit, in den
Infoheftchen der Anonymen Alkoholiker, die ich im Klinikum bekommen hatte, als
ich selbst zur Entgiftung dort gewesen war. Angeblich benötigten manche
Menschen die Helferrolle zur Verbesserung ihres eigenen Selbstwertgefühls. Sie
glaubten, den Partner an sich binden zu können, wenn sie ihn dabei
unterstützten, seine Sucht zu verbergen. Böswillig gesagt, erpressten sie eine
dauerhafte Beziehung, weil sie sozusagen sein Geheimnis kannten.

    Verbarg sich hinter Susis makellosem Äußeren eine Frau,
die sich selbst ungeschminkt, nackt und nicht frisiert für nicht liebenswert
hielt?

    Ein Schauer gruselte meinen Rücken hinauf, als ich den
Gedanken zu Ende dachte: so wie meine Mutter?

    Ich fuhr so erschrocken zu Susi herum, dass sie mich verwundert
ansah.

    Plötzlich hatte ich Mitleid. Ich wusste nur nicht, mit
wem. Ich stand einer vollkommen fremden Frau gegenüber und hatte zum ersten Mal
im Leben das irritierende Gefühl, meine Mutter zu begreifen.

    Â»Haben Sie ein Foto von sich und Ihrem ersten Mann?«,
fragte ich spontan.

    Susi blinzelte erstaunt. »Ja. Natürlich … Nachdem er verschwunden
ist, habe ich mir die Bilder nie wieder angeguckt.«

    Sie ging in den Wohnbereich hinüber und öffnete die unteren
Klappen eines Sideboards. »Edgar ist wirklich umgebracht worden?«

    Â»Wie gesagt, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen«,
wiederholte Staschek.

    Ich setzte mich neben Danner an den Esstisch, während
Susi kramte.

    Â»Warum ist Ihr Exmann damals verschwunden? Gab es einen
Grund dafür?«, erkundigte sich Danner.

    Ratlos zuckte Susi die Schultern. Sie zog ein Fotoalbum
aus dem Schrank. »Er war plötzlich weg. Sie werden mir nicht glauben, aber er
wollte wirklich nur Zigaretten holen – wie im Film. Ich habe ihn vermisst
gemeldet damals. Ich war mir sicher, dass ihm was passiert sein musste. Aber
dann stellte man fest, dass fünfundzwanzigtausend Euro aus dem Safe fehlten.
Deshalb ging die Polizei davon aus, dass er sich abgesetzt hatte.«

    Hm. Fünfundzwanzigtausend Euro Startkapital hatte Fliege
also zu Beginn seiner Straßenkarriere gehabt. Kein Wunder, dass er nicht auf
die Stütze angewiesen gewesen war. Handelte es sich bei unserer Gage womöglich
um den Rest dieser Summe?

    Susi kramte drei weitere Alben hervor: »Ich habe nie wieder
was von ihm gehört. Und jetzt stellt sich heraus, dass er die ganze Zeit hier
in Bochum war. Als Penner! Vielleicht bin ich sogar in der Stadt an ihm
vorbeigegangen, ohne ihn zu bemerken …«

    Weil er unsichtbar geworden war, wie alle Penner.

    Â»Genau genommen dürfte ich mich wohl nicht mal drüber
wundern …«, fand Susi.

    Â»Ihr Exmann war Alkoholiker«, stellte Danner fest.

    Susi warf dem Detektiv einen Blick zu, als hätte sie sich
erst jetzt wieder an seine Anwesenheit erinnert – ein Effekt, der häufiger
auftrat, wenn der Erste Kriminalhauptkommissar Lennart Staschek neben ihm saß.

    Â»Liegt in der Familie. Aber zu dem Zeitpunkt, als Edgar
verschwand, war eigentlich alles in Ordnung. Die Jungen waren zwei, vier und
sechs Jahre alt und die Firma kam richtig ins Laufen. Edgar hatte sogar gerade
einen dicken Auftrag an Land gezogen. Am Abend vorher hatte er noch mit Kalle
den Vertragsabschluss gefeiert. Die Sanierung einer Seniorenresidenz.« Susi
wuchtete vier Fotoalben auf den Esstisch. »Das wurde dann der erste Bau, den
ich mit Kalle allein durchziehen musste.«

    Â»Dabei sind Sie und Ihr zweiter Mann sich nähergekommen?!«

    Susi nickte.

    Â»Darf ich?« Ich nahm das oberste Album von dem Stapel.
Auf den Einband aus welligem Plastik war ein Foto gedruckt, das ein Gitarre
spielendes Hippiepärchen unter einem Baum zeigte. Der Kunststoff war rissig, an
den Kanten kaputt, billig. Das Album passte überhaupt nicht zu Susis