Fliege machen
wohl nicht nennen.
»Guck dir den Kalle an«, fuhr Freddie fort. »Der hat fünfzehn
Stunden am Tag malocht, wie der Boss früher. Und dann hat ihn auch der Schluck
umgebracht. Ist doch Mist. Der Boss hat wenigstens noch was gehabt vom Leben,
nicht nur gekeult.«
Na gut. Von der Seite hatte ich das noch nicht
betrachtet. Susi hatte also zwei Männer an den Alkohol verloren. Edgar Guski
war in die Obdachlosigkeit geflüchtet. Und Kalle Thurna betrunken in seiner
Luxuskarosse gestorben.
»Das warâs dann wohl mit der Firma«, zuckte Freddie die
Schultern. »Allein kann die Chefin das nich wuppen. Ãberhaupt ist das ja auf
Dauer nix für ân Weib.«
Frauenfeind. Susi gegenüber äuÃerte er sich für seine Verhältnisse
womöglich noch bemerkenswert respektvoll.
»Sie tut, was se kann, seit Kalle tot is«, rauchte
Freddie. »Die steht sogar auf der Baustelle und packt mit an. Aber mal ehrlich,
das kann doch nichts werden.«
Widerwillig musste ich Freddie zustimmen. Auch ich konnte
mir Susis perfekt manikürte Fingernägelchen nicht in zerrissenen
Arbeitshandschuhen vorstellen.
Andererseits kennt sie den Betrieb, protestierten meine
Emanzenprinzipien sofort. Sie hat die Firma mit Kalle Thurna zusammen über
Wasser gehalten. Warum soll eine gut aussehende, gepflegte Frau keine
Bauleiterin sein können?
Weil sie einen Haufen alternder Chauvinisten wie Freddie
kommandieren soll, die eher auf einen sprechenden Esel hören würden als auf sie
â vorausgesetzt, der Esel hat Eier.
»Nu kommt der Laden wohl untern Hammer. Na ja, mit meiner
Hüfte krieg ich bestimmt die Rente durch«, prognostizierte der Maurer.
Womit er dem Kommando einer Frau gerade noch rechtzeitig
entging â bevor sich sein Weltbild womöglich auf seine alten Tage noch verändern
musste.
»Weià die Chefin denn schon, dass der Boss tot is?«
Â
42.
Gegen halb fünf an diesem Nachmittag
stellte Susanne Thurna, geschiedene Guski, drei Tassen mit Kaffee auf den
massiven Eichentisch in ihrer Wohnküche. Danner und Staschek nahmen Platz.
Irgendein Teil meines Gehirns weigerte sich noch immer zu
akzeptieren, dass Fliege, der Penner, einmal in diesem hellen, ordentlichen
Raum mit der offenen Fachwerkwand gelebt hatte.
Mein Blick fiel erneut auf das Foto im Glasrahmen, das
neben einigen Büchern auf dem mittleren Balken des schweren Fachwerks stand.
Ein groÃer, kräftiger Mann mit dunklen Locken hielt Susi
im Arm. Es war offenbar Sommer, die Sonne schien. Susi trug ein rosa Kleid, das
viel von ihren langen, schlanken Beinen zeigte. Vor den beiden Erwachsenen
standen in Orgelpfeifenmanier die drei Jungen mit strubbeligen, blonden Haaren.
Das Bild war mir bei unserem ersten Besuch schon aufgefallen,
und als ich es jetzt betrachtete, begriff ich endlich, was ich da sah: Das
waren die Kinder von Edgar Guski, aber der Mann, an den sich Susi schmiegte,
war ihr zweiter Ehemann: der tödlich verunglückte Karl Thurna.
Ich versuchte, mir statt des attraktiven Thurna den kleinen,
stämmigen, ungewaschenen Penner neben der aufgehübschten Blondine vorzustellen.
»Sie haben erst vor Kurzem Ihren zweiten Mann verloren?«
Diesmal übernahm Staschek die Aufgabe, die Todesnachricht zu überbringen.
Susi war wieder in Schwarz gekleidet. Sie trug Trauer, erkannte
ich jetzt. Allerdings auf ihre ganz eigene Art: Im tiefen Ausschnitt ihrer
Bluse blitzten auch heute die schwarzen Spitzen eines BHs hervor. Susi
verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere, wodurch die Kurven ihrer Hüften
zur Geltung kamen.
Ich registrierte die Bewegung, weil Susi schon wieder so
sehr meiner Mutter ähnelte.
Staschek registrierte die Bewegung ebenfalls, denn er
strich sich seine glänzend braune Haarwelle aus der Stirn.
Arbeitete dieses Püppchen wirklich mit Blaumann und
Schutzhelm auf dem Bau?
»Leider muss ich Ihnen eine weitere traurige Nachricht
überbringen, Frau Thurna«, kam Staschek behutsam auf den Punkt.
Susis blaue Augen weiteten sich erschrocken.
»Es geht um Ihren ersten Mann, Edgar Guski. Er ist der
Vater Ihrer Kinder, wenn ich richtig informiert bin.«
»Wenn man ihn einen Vater nennen will â¦Â«
»Wir haben Edgar Guski im Stadtpark gefunden. Er scheint
Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. Die Ermittlungen sind noch nicht
abgeschlossen.«
Susi blinzelte. Es dauerte ein paar
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