Fliegende Fetzen
sollen, Herr?«
»Ich schätze, wir können unsere Sachen packen und diesen Ort verlassen. Haben alle Angehörigen der Wache beschlossen, sich uns anzuschließen?«
»Ja, Herr!«
»Hast du sie darauf hingewiesen, daß es nicht obligatorisch ist?«
»Ja, Herr! Ich ihnen gesagt habe: Es nicht obliga’risch sein, aber ihr müßt.«
»Ich wollte
Freiwillige,
Detritus.«
»Ja, Herr. Alle sich freiwillig gemeldet haben. Ich dafür gesorgt.«
Mumm seufzte, als er in Richtung Wachhaus schritt. Vermutlich drohte keine Gefahr. Er war ziemlich sicher, daß man ihm in rechtlicher Hinsicht nichts anhaben konnte, und wenn er Rust richtig einschätzte, respektierte der Lord die Buchstaben des Gesetzes. Leute wie er zeichneten sich durch diesen ganz besonderen Starrsinn aus. Und wenn man berücksichtigte, was in Bewegung geraten war, spielten dreißig Wächter kaum eine Rolle. Eigentlich brauchte Rust ihnen überhaupt keine Beachtung zu schenken.
Plötzlich steht ein Krieg bevor, dachte Mumm, und alles kehrt zurück. Die normale Ordnung wird auf den Kopf gestellt, weil es
Regeln
gibt. Und Leute wie Rust finden sich ganz oben auf dem Haufen wieder. Jahrelang faulenzen die Aristokraten, und auf einmal wird die alte Rüstung abgestaubt und das Schwert von seinem Platz über dem Kamin genommen. Sie glauben, daß der Krieg unvermeidlich ist, und ihnen fällt nur ein, daß man ihn entweder gewinnen oder verlieren kann…
Jemand steckt dahinter. Jemand möchte, daß es zu einem Krieg kommt. Jemand hat dafür bezahlt, Ostie und Schneetreiben umbringen zu lassen. Jemand wollte den Tod des Prinzen. Das darf ich nicht vergessen. Dies ist kein Krieg, sondern ein Verbrechen.
Und dann merkte er, daß er sich fragte, ob es dieselben Leute waren, die auch den Anschlag auf Goriffs Laden verübt hatten, und ob diese Leute auchdie Botschaft in Brand gesteckt hatten.
Und
dann
begriff er, warum er auf diese Weise dachte.
Weil er an die Existenz von Verschwörern glauben wollte. Es war viel einfacher, sich Männer in irgendeinem verrauchten Zimmer vorzustellen, von Privilegien und Macht um den Verstand gebrachte Personen, die voller Zynismus steckten und beim Brandy Intrigen spannen. An einem solchen Vorstellungsbild klammerte er sich fest. Sonst mußte er sich der unangenehmen Tatsache stellen, daß schlimme Dinge passierten, weil ganz gewöhnliche Leute – Menschen, die den Hund bürsteten und ihren Kindern Gutenachtgeschichten erzählten – fähig waren, auf die Straße zu gehen und Schreckliches mit anderen ganz gewöhnlichen Leuten anzustellen. Ja, es war viel einfacher, Verschwörern die Schuld zu geben. Wie deprimierend, in diesem Zusammenhang »Wir« zu denken. Wenn Sie dahinterstecken… dann trifft uns überhaupt keine Schuld. Aber wenn das Wir der Wahrheit entspricht… Was bedeutet das für das Ich? Immerhin gehöre ich zu den Wir. Es käme mir nie in den Sinn, mich für einen von Ihnen zu halten.
Niemand
glaubt, einer von Ihnen zu sein. Jeder von Uns ist ein Teil des Wir. Für die schlimmen Dinge sind Sie verantwortlich.
Früher hätte Mumm etwa an dieser Stelle eine Flasche geöffnet und keinen Gedanken an ihren Inhalt verschwendet, solange die Flüssigkeit bewirkte, daß Lack Blasen warf…
»Ugh?«
»Oh, hallo. Was kann ich für dich… Oh, ja, ich habe um Bücher über Klatsch gebeten. Das ist alles?«
Der Bibliothekar hob verlegen ein kleines, recht mitgenommenes grünes Buch in die Höhe. Mumm hatte etwas Größeres erwartet, aber er nahm es trotzdem entgegen. Es zahlte sich aus, einen Blick in jedes Buch zu werfen, das man vom Bibliothekar bekam. Er schien genau zu wissen, welche Lektüre zu einem paßte. Mumm vermutete, daß es ein spezielles berufliches Geschick war, so wie die Fähigkeit eines Leichenbestatters, Größen genau abzuschätzen.
Auf dem Rücken des Buches bildeten verblichene goldene Buchstaben die Worte: »
VENI VIDI VICI. Ein Soldatenleben
von Gen. A. Taktikus«.
Nobby und Feldwebel Colon schoben sich durch die Gasse.
»Ich habe ihn erkannt!« flüsterte Colon. »Das ist Leonard von Quirm, jawohl! Er verschwand vor fünf Jahren!«
»Er heißt also Leonard und stammt aus Quirm«, erwiderte Nobby. »Na und?«
»Er ist ein geniales Genie!«
»Er ist irre.«
»Ja, mag sein. Es heißt, vom Genie zum Wahnsinn sei es nur ein kleiner Schritt…«
»Diesen Schritt hat er hinter sich gebracht.«
Hinter ihnen erklang erneut Leonards Stimme: »Meine Güte, es hat keinen Zweck…? Ich muß
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