Fliegende Fetzen
Gesetze des narrativen Universums besagt, daß ein reizloser Mann, der sich aus irgendeinem Grund als Frau verkleidet, das Interesse eines anderen, ansonsten völlig gesunden Mannes weckt, mit »urkomischen Resultaten«, wie es in den uralten Schriftrol en heißt.
Colon warf ihm die Messer zu, langsam und vorsichtig. Lord Vetinari
will die Wächter erstechen, dachte er dabei. Es ist ein Trick. Und an-
schließend werden wir von den übrigen Leuten in Stücke gerissen.
Scharfer Stahl schimmerte in der Luft und schien einen Kreis zu for-
men. Die Zuschauer murmelten anerkennend.
»Und doch ist es ein wenig langweilig«, sagte der Patrizier.
Seine Hände bewegten sich in einem komplexen Muster, was eigentlich
nur möglich sein konnte, wenn das rechte Handgelenk mindestens
zweimal zum linken wurde.
In der Luft entstand ein wildes Durcheinander aus Früchten und Mes-
sern.
Dann fielen drei Melonen auf den Boden, jeweils fein säuberlich in
zwei Hälften geschnitten.
Drei Messer bohrten sich dicht vor den Sandalen ihres Eigentümers in
den Staub.
Feldwebel Colon sah auf und bemerkte etwas Grünes, das sich ihm
rasch näherte…
Die Melone platzte, und das lachende Publikum applaudierte. Colon
konnte die Begeisterung der Zuschauer nicht ganz teilen, als er sich über-
reifes Fruchtfleisch aus den Ohren kratzte.
Sein Überlebensinstinkt erwachte erneut. Stolpere nach hinten, sagte
er. Und so stolperte er nach hinten und hob dabei die Beine möglichst
hoch. Laß dich plump fallen. Und so fiel er plump, wobei er fast ein
Huhn zerquetscht hätte. Verliere deine Würde, fuhr der Überlebensin-
stinkt fort. Von al en Dingen, die du besitzt, kannst du die Würde am
besten entbehren.
Lord Vetinari half ihm auf. »Unser Leben hängt davon ab, daß du wie
ein dicker Idiot wirkst«, flüsterte er und setzte Colon den Fes auf den
Kopf.
»Ich bin kein besonders guter Schauspieler, Herr…«
»Gut!«
»Ja, Herr!«
Der Patrizier griff nach drei Melonenhälften und sprang zu einem Ver-kaufsstand, den eine Frau gerade errichtet hatte. Er nahm ein Ei, als er
an dem Stand vorbei huschte… Feldwebel Colon blinzelte. Dies konnte unmöglich die Realität sein. Der Patrizier verhielt sich nicht auf solche
Weise.
»Meine Damen und Herren! Ihr seht – ein Ei! Und hier haben wir eine
Melonenschale! Ei, Melone! Melone, Ei! Ich stülpe die Melonenschale
über das Ei!« Lord Vetinaris Hände zuckten mit verwirrender Ge-
schwindigkeit über die drei Hälften. Sie rutschten von einer Seite zur
anderen, immer wieder. »Und nun… Wo ist das Ei? Willst du es einmal
versuchen, Schah?«
Al-Schnappler lächelte.
»Es befindet sich unter der linken Schale«, sagte er. »Das ist immer so.«
Lord Vetinari hob die entsprechende Melonenhälfte an. Es lag kein Ei
darunter.
»Und du, ehrenwerter Wächter?«
»Es liegt unter der mittleren«, antwortete der Klatschianer.
»Oh, sicher hast du recht… Na so was, da ist es auch nicht…«
Die Zuschauer blickten zur letzten Melone. Es waren Leute von der
Straße. Sie kannten sich mit solchen Dingen aus. Wenn ein Objekt unter
einem von drei Objekten liegen konnte, und wenn sich bereits herausge-
stel t hatte, daß es nicht unter den ersten beiden Gegenständen lag…
dann auch bestimmt nicht unter dem dritten. Nur leichtgläubige Narren
gingen von dieser Annahme aus. Natürlich gab es bei dieser Sache einen Trick. Es gab immer einen Trick. Trotzdem sahen alle genau hin, um einen guten Trick zu beobachten.
Lord Vetinari hob die dritte Melonenschale, und das Publikum nickte
zufrieden. Das Ei war nicht dort, wie erwartet. Es wäre ein ziemlich
jämmerlicher Tag für die Straßenunterhaltung gewesen, wenn sich die
Dinge plötzlich dort befanden, wo man sie vermutete.
Feldwebel Colon wußte, was jetzt passieren würde. Er wußte es des-
halb, weil seit etwa einer Minute etwas gegen seinen Kopf pickte.
Er hielt den richtigen Augenblick für gekommen und hob seinen Fes,
unter dem ein kleines und sehr flauschiges Huhn hockte.
»Wenn mir jemand einen Lappen geben könnte… Ich fürchte, das Tier
hat meinen Kopf als Toilette benutzt.«
Gelächter erklang, hier und dort auch Applaus und – zu Colons Er-
staunen – das Klirren von Münzen zu seinen Füßen.
»Und jetzt zeigt uns die schöne Beti einen exotischen Tanz«, sagte der
Patrizier.
Plötzlich herrschte Stille unter den Zuschauern.
Jemand weiter hinten fragte: »Wieviel müssen wir bezahlen, damit
Weitere Kostenlose Bücher