Fliegende Fetzen
es doch sehr erfreulich,
daß sie sich derzeit in den richtigen Händen befinden. Wie schön, daß
wir alle so gut miteinander auskommen.
Irgendwann hatte jemand beschlossen, daß der Kommandeur der Wa-
che die Prozession anführen sol te, aus symbolischen Gründen. Über
viele Jahre hinweg war das nicht weiter wichtig gewesen, weil es gar kei-
nen Kommandeur gegeben hatte. Aber jetzt existierte einer, und er hieß
Samuel Mumm. Er trug ein rotes Hemd mit Puffärmeln, dazu eine rote
Strumpfhose und eine kurze Hose, die wie aufgeblasen wirkte – diese
Kleidung schien bereits zur Faustkeilära aus der Mode gewesen zu sein.
Hinzu kamen ein kleiner glänzender Brustharnisch und ein Helm mit
Federn.
Und Mumm war müde.
Und er mußte den Schlagstock tragen.
Er hielt den Blick darauf gerichtet, als er durchs Haupttor der Universi-
tät schritt. Der Regen der vergangenen Nacht hatte die Wolken vom
Himmel vertrieben. Die Stadt dampfte.
Wenn er auf den Schlagstock starrte, bemerkte er nicht, wer al es über
ihn kicherte.
Der Nachteil war nur, daß er den Schlagstock sah.
Auf einem kleinen, angelaufenen Schild, das erst gründlich gereinigt
werden mußte, bevor es seine Botschaft offenbarte, stand geschrieben:
Beschützer des Königs Friedens.
Das hatte die Stimmung ein wenig verbessert.
Federn und Antiquitäten, Goldabzeichen und Pelz…
Vielleicht lag es an der Müdigkeit oder daran, daß er versuchte, dem
Rest der Welt möglichst wenig Beachtung zu schenken. Mumm wurde
langsamer, schlenderte in der typischen Gangart eines Wächters und ließ
die Gedanken treiben.
Es war fast ein Pawlowscher Reflex.* Die Beine schwangen, die Füße
berührten den Boden, der Kopf entwickelte ein bestimmtes Denkmuster.
Es war nicht in dem Sinne ein traumartiger Zustand. Ohren, Nase und
Augen verbanden sich mit dem uralten Du-verdächtiger-Mistkerl-
Knoten im Gehirn, wodurch sich die restliche Hirnmasse mit anderen
Dingen befassen konnte.
Pelz und Strumpfhosen… Gehörte es sich für einen anständigen
Wächter, solche Kleidung zu tragen? Nein. Die angemessene Kleidung eines Wächters bestand aus einem zerbeulten Brustharnisch, einer Hose
aus schmierigem Leder und einem schmuddeligen Hemd mit Flecken
vom Blut einer anderen Person. Ja, so war es richtig… Das Kopfstein-
pflaster unter den Stiefelsohlen bot ein vertrautes Gefühl, wirklich ange-
nehm…
Hinter ihm wurde die Prozession von Verwirrung erfaßt, als Zauberer
und Ehrengäste versuchten, sich dem veränderten Tempo anzupassen.
Ha, Beschützer des Königs Teils… Und wie lautete die Frage, die er an den Mann gerichtet hatte, der ihm den Schlagstock brachte? »Welches Teil ist
damit gemeint?« Doch diese Worte stießen natürlich auf taube Ohren…
Eigentlich ein absurdes Ding: ein kurzes Holzstück mit einem Klumpen
Silber am Ende… Selbst ein gewöhnlicher Obergefreiter bekam ein or-
dentliches Schwert, was sol te er damit anstel en, etwa den Leuten zuwinken ? Bei den Göttern, es war Monate her, seit er zum letzten Mal durch die Stadt gewandert war… Heute schienen ziemlich viele Leute unterwegs zu sein, vielleicht fand eine Art Parade oder so statt…
»Meine Güte«, sagte Hauptmann Karotte in der Menge. »Was macht er
jetzt?«
* Dieser Begriff ging auf den Zauberer Deneffe Stiefel** zurück, der folgendes herausgefunden hatte: Mit einem System aus Belohnung und Strafe konnte man einen Hund dazu bringen, beim Ertönen einer Glocke unverzüglich ein Erdbeer-törtchen zu fressen.
** Seine Eltern waren einfache Leute vom Lande und hatten sich ein Mädchen gewünscht, das sie Denichte nennen wol ten.
Neben ihm stand ein Tourist aus dem Achatenen Reich und zog im-
mer wieder den Hebel seines Ikonographen.
Kommandeur Mumm blieb stehen und blickte verträumt in die Ferne,
als er sich den Schlagstock unter den Arm klemmte und nach seinem
Helm griff.
Der Tourist sah zu Karotte auf und zupfte höflich an seinem Ärmel.
»Bitte, was macht er jetzt?« fragte er.
»Äh… er… holt etwas hervor…«
»O nein «, ließ sich Angua vernehmen.
»Ja, er holt sein zeremonielles Zigarrenetui aus dem Helm«, erklärte
Karotte. »Oh… und jetzt zündet er eine an…«
Der Hebel des Ikonographen klickte mehrmals unter dem fleißigen
Finger des Touristen.
»Eine sehr historische Tradition, nicht wahr?« vergewisserte er sich.
»Ausgesprochen denkwürdig«, kommentierte Angua.
Die Menge schwieg. Niemand wol te Mumms Konzentration
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