Flieh solange du kannst
er sehr gut, wenn er sie ansah. “Ist das Kind von Vincent?”
Sie sah ihn erstaunt an. “Natürlich.”
“Und wann ist es so weit?”
“In sechs Wochen.”
Ausgerechnet jetzt, wo sie kurz vor der Scheidung stand. “Ich dachte, du wolltest keine Kinder.”
“Vincent wollte keine Kinder. Er wollte nichts, was uns irgendwie behindern könnte.” Sie schüttelte verständnislos den Kopf. “Hauptsache, wir verpassen nicht unseren nächsten Karibikurlaub, um solche Dinge hat er sich Sorgen gemacht.”
Preston deutete auf ihren Bauch. “Aber dann hat er seine Meinung also geändert.”
Sie verschränkte die Hände, und Preston bemerkte, dass sie keinen Ehering mehr trug – genauer gesagt überhaupt keine Ringe mehr. Nachdem ihr ganzer Körper so angeschwollen war, ging das wahrscheinlich nicht mehr.
“Nein. Es war mein Entschluss. Ich habe mich entschieden, dass ich nicht darauf verzichten möchte, Mutter zu werden, nur weil er sich entschieden hat, kein Vater zu sein. Also habe ich die Verhütungsmittel abgesetzt. Aber …”
Die Serviererin brachte Joanie ein Glas kaltes Wasser und reichte ihr die Speisekarte.
“Du sagtest gerade …”, nahm Preston den Faden wieder auf, nachdem die Kellnerin gegangen war.
“Er hatte mich schon fast so weit, dass ich einer Abtreibung zugestimmt habe, um meine Ehe zu retten. Aber dann habe ich ihn im Hinterzimmer mit seiner neuen Sprechstundenhilfe erwischt. In dem Moment habe ich entschieden, dass ich meine eigenen Wünsche nicht mehr hinter seinen zurückstecken will.”
“Ich nehme an, dass das, was da im Hinterzimmer geschehen ist, nicht direkt etwas mit der Arbeit in seiner Praxis zu tun hatte?”
“Stimmt genau.”
“Also hast du ihn verlassen, weil er dich betrogen hat.”
“Nein, er hat mich doch die ganze Zeit hintergangen.”
Preston schob seine Kaffeetasse an den Rand des Tischs, um zu signalisieren, dass er noch mehr haben wollte. “Aber soweit ich weiß, hat er dich nicht betrogen, als wir noch miteinander befreundet waren.”
Sie starrte das Blatt mit den Tagesgerichten an, das mit einer Heftklammer an der Speisekarte befestigt war. “Nur weil du als gutes Beispiel vorangegangen bist.”
Völlig ungläubig lehnte er sich nach vorn. “Du meinst, ich habe ihn dazu gebracht, treu zu bleiben?”
“Du warst Christy völlig ergeben. Und weil er dich so bewundert hat, hat er sich bemüht, dir nachzueifern. Dafür müsste ich dir eigentlich danken.” Sie legte die Karte beiseite und beschäftigte sich eine Weile damit, den Pfeffer- und Salzstreuer und die Dosen für Zucker und Süßstoff zurechtzurücken. “Aber später war ich dann nicht mehr so glücklich über das, was du getan hast”, fügte sie hinzu. “Wie geht’s Christy denn inzwischen?”
“Seit sie wieder geheiratet hat, geht’s ihr besser.”
“Wieder geheiratet?”
Preston lehnte sich zurück und legte einen Arm über die Rückenlehne der Bank. “Wusstest du nicht, dass wir uns getrennt haben?”
“Vincent und ich haben alle alten Kontakte abgebrochen.”
“Warum denn?”
“Vincent wollte nicht mehr an all das erinnert werden, und auch für mich waren viel zu viele negative Dinge mit der Vergangenheit verbunden.”
“Du sprichst jetzt von der Zeit, als ihr in Nevada gelebt habt?”
“Woher weißt du denn, wo wir gelebt haben?”
“Ich suche euch schon seit einer ganzen Weile.” In Nevada hätte er Vincent beinahe erwischt. Allerdings hatte er sich dort nicht als Dr. Wendell niedergelassen, weshalb Preston zunächst davon ausgegangen war, dass es sich bei diesem Vincent Wendell nicht unbedingt um seinen alten Freund handelte. Doch als er nach Nevada kam, musste er feststellen, dass Vincent und Joanie schon wieder weggezogen waren. Ohne eine Spur zu hinterlassen. “Wieso hat Vincent dort nicht praktiziert?”
“Er war völlig durcheinander und nervös. Er war noch nicht so weit.”
“Und du warst damit einverstanden, dass er nicht mehr arbeitet?”
“Nicht ganz, aber ich habe ihn verstanden. Es ist wirklich schlimm, wenn dein bester Freund dich einer solchen Tat beschuldigt.”
Die Serviererin kam, füllte seine leere Tasse nach und schob ihm den Kaffee wieder hin. “Es ist noch viel schlimmer, wenn du herausfindest, dass dein bester Freund das getan hat, was Vincent getan hat”, sagte er zurückhaltend und wunderte sich, als sie nicht gleich zu einer Verteidigungsrede anhob, wie sie es sicherlich noch vor zwei Jahren getan hätte.
“Was ist denn
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