Flieh solange du kannst
Augen, und Preston hatte Mitleid mir ihr, als er bemerkte, wie müde und erschöpft sie war. “Ich wollte nichts davon wissen. Er machte mir Angst, und unsere Ehe war sowieso schon in Gefahr. Ich habe versucht, alles zusammenzuhalten, weißt du?”
“Was hast du denn zu ihm gesagt?”
“Ich sagte ihm, er sei so normal wie alle anderen Leute, die ich kenne. Danach hat er nie mehr davon gesprochen.”
Das entmutigte Preston. Sie hatte ihn fast so weit gehabt, Vincent hatte darüber sprechen wollen, und sie hatte ihm erklärt, sie wolle nichts davon wissen. Mist! Ein überwältigendes Gefühl von Enttäuschung und Hilflosigkeit breitete sich in ihm aus. “Und seitdem hast du ihn nicht mehr danach gefragt?”
Sie schaute ihn interessiert an. “Du siehst gut aus, weiß du das? Du bist ein bisschen dünner und kantiger geworden, aber du sahst schon immer ziemlich gut aus. Ich bin gern mit dir und Christy unterwegs gewesen, weil ich euch dann beobachten konnte.” Sie lachte leise. “Denk jetzt bloß nichts Falsches, ich wollte euch nicht zu nahe kommen. Ich hab Vincent geliebt. Aber … du liegst eindeutig ein ganzes Stück über dem Durchschnitt.”
Preston interessierte es überhaupt nicht, wie er aussah. Schon gar nicht jetzt. “Hast du ihn jemals wieder danach gefragt?”, wiederholte er.
“Ja, natürlich.” Sie lehnte sich zurück, damit die Kellnerin den Orangensaft abstellen konnte. “Am Ende, als wir uns ständig gestritten haben. Da habe ich es ihm immer wieder an den Kopf geworfen. Aber er hat es geleugnet.”
“Das muss ja nicht heißen, dass er unschuldig ist.”
“Es muss auch nicht heißen, dass er schuldig ist.”
Preston strich sich übers Kinn. Es musste doch einen Weg geben, um die Wahrheit herauszufinden. “Gibt es vielleicht irgendwelche Beweismittel?”
“Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht stimmt.”
“Was ist mit Billy?”
“Was soll mit ihm sein? Jeder Arzt hat solche Verluste zu beklagen.”
Diese Ansicht kannte Preston nur zu gut. “Und Melanie?”
“Sie hat doch überlebt, weißt du nicht mehr?”
“Findest du es nicht ungewöhnlich, dass Vincent sie ins Krankenhaus schicken wollte, nachdem alle anderen Ärzte nur eine Grippe festgestellt haben?”
“Er sagte, er hätte etwas Ernsteres bei ihr gefunden.”
“Wie kam er dazu?”
“Das weiß ich nicht!”
“Ich hatte gehofft, dass es irgendwelche Aufzeichnungen gibt”, sagte Preston. “Notizen über den Krankheitsverlauf bei Dallas oder Melanie oder Billy, irgendetwas, das Hinweise darauf geben könnte, was tatsächlich passiert ist.”
“Nein, das gibt es nicht. Wir haben praktisch alles weggeworfen, als wir aus Kalifornien weggezogen sind. Die wenigen Aufzeichnungen, die Vincent behalten hat, bewahrt er alle in seiner Garage auf. Aber wenn er das getan hat, was du vermutest, dann glaube ich nicht, dass er die Beweise dafür aufgehoben hat.”
“Verdammt!” Preston vergrub das Gesicht in den Händen. In diesem Moment war ihm egal, ob sie ging oder blieb. Es war ja sowieso egal, sie hatten nichts in der Hand.
Aber sie stand nicht auf. Ein paar Sekunden vergingen, dann spürte er ihre Hand an seinem Arm. “Preston?”
“Was?”
“Ich weiß, dass Dallas dir sehr viel bedeutet hat.”
Als er nicht antwortete, stieß sie einen Seufzer aus. “An dem Abend, an dem Billy starb, kam Vincent weinend nach Hause.”
Preston schaute sie an und fragte sich, worauf sie jetzt hinaus wollte. “Weil er Mitleid mit Billys Familie hatte und um den Jungen trauerte?”
“Nein, weil er Angst hatte.”
Preston hielt den Atem an. “Wie bitte?”
“Er hatte Angst, jemand könnte ihn zur Verantwortung ziehen. Darüber hat er die ganze Zeit gesprochen. ‘Und was ist, wenn sie mich beschuldigen, was dann, Joanie? Jeder Arzt verliert doch ab und zu einen Patienten, stimmt’s. Kinder sterben an Hirnhautentzündung und anderen Krankheiten. Die werden doch jetzt nicht kommen und mich holen?’“
Preston erinnerte sich an seine Unterhaltung mit Vincent auf dem Golfplatz. Vincent hatte jede Verantwortung vehement abgelehnt, ohne dass Preston ihn beschuldigt hatte. “Aber wenn er nichts falsch gemacht hat, warum fühlte er sich dann schuldig?”
Sie hob die Schultern. “Ich weiß es nicht. Ich habe das alles von mir geschoben. Ich schätze, ich wollte einfach nichts davon wissen. Vielleicht bin ich deshalb so wütend geworden, als du zu uns kamst und ihn beschuldigt hast. Weil ich Angst hatte, es könnte die
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