Flieh solange du kannst
erkläre es dir gleich.”
Was tun? Sie mussten sofort raus aus dieser Stadt. Aber wie sollte das gehen, ohne fahrbaren Untersatz? Nicht einmal Buslinien schienen in diesem Ort zu verkehren.
Vor ihrem geistigen Auge tauchte ein verbeulter brauner Kombi auf, in ihren Ohren hallten die Fetzen einer Unterhaltung wider.
Morgen geht’s dann nach Iowa.
Nach Iowa! Du willst doch nicht etwa bis nach Iowa mit dieser Kiste fahren?
Mit dieser Kiste fahre ich überall hin.
Preston würde die Stadt noch heute verlassen. Und weit fahren, sehr weit weg von hier. Und er hatte einen großen Wagen.
Inzwischen war es fast elf Uhr. Gut möglich, dass er schon auf und davon war …
Preston Holman starrte an die Zimmerdecke. Auf der Suche nach fünf guten Gründen, warum er jetzt aufstehen sollte. Diese Herausforderung musste er jeden Tag aufs Neue annehmen. Die Idee stammte von seinem Therapeuten, den er auf Drängen seiner Ex-Frau besuchte. Jeden Morgen sollte er nach fünf Gründen suchen, die das Leben lebenswert machten.
Sein Blick wanderte zu der Pistole auf dem Sideboard. Wie üblich fiel ihm auch diesmal nur ein einziger Grund ein. Komischerweise war es genau der gleiche wie der, der zu seiner Scheidung geführt hatte. Aber bislang hatte er ihm jedes Mal geholfen, aus dem Bett zu kommen.
Er richtete sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Dann zog er die Boxershorts aus und ging ins Badezimmer, um zu duschen. Zwar hatte er gestern einen Rückschlag erlitten, als der Apotheker, der Vincent Wendell kannte, ihm mitteilte, dass er schon lange nichts mehr von ihm gehört hatte. Aber Gordon, der Privatdetektiv, der für Preston nach Dr. Wendell suchte, hatte wenig später angerufen und ihm gute Neuigkeiten übermittelt. Auch wenn diese neue Spur wieder ins Nichts führen sollte, würde er nicht aufgeben. Das war er Dallas schuldig, und er würde seinen Sohn nicht ein weiteres Mal enttäuschen, koste es was es wolle.
Noch bevor er den Wasserhahn aufgedreht hatte, klopfte es an der Tür. Das überraschte ihn, denn normalerweise bekam er keinen Besuch. Freunde und Familie hatte er schon vor einem Jahr für immer verlassen – seitdem er ständig eine Pistole bei sich trug.
Wahrscheinlich war es Maude. Der einzige Mensch, der sich nicht darum scherte, dass er von niemandem gestört werden wollte. Tatsächlich gefiel ihm ihre mütterliche Art sogar ein wenig. Schon seit Monaten suchte er jede Ecke von Nevada ab, und am Ende kehrte er doch immer wieder hierher zurück.
Er zog die Shorts wieder an, eine Jeans darüber und legte die Pistole in eine Schublade.
Als er die Tür öffnete, blendeten ihn die grellen Strahlen der Mittagssonne. Ja, natürlich, dachte er, ich hätte schon längst aufstehen müssen. Was er bestimmt auch getan hätte, wäre er nicht erst um fünf Uhr morgens eingeschlafen.
Er hielt eine Hand als Schirm über die Augen und blinzelte. Jetzt erkannte er die Umrisse von zwei Personen – keine von beiden war Maude.
“Was ist denn los?”, fragte er, als er die hübsche junge Frau von gestern Nacht erkannte. Den kleinen Jungen an ihrer Seite ignorierte er.
Die Frau gab ihrem Sohn ein paar Münzen und schickte ihn zum Hauptgebäude, wo er sich bei Maude eine Diät-Cola abholen sollte. Der Kleine rannte los, und die junge Frau schaute Preston zögernd an. Da er keine Anstalten machte, ihr Lächeln zu erwidern, verschwand es gleich wieder.
“Tut mir leid, dass ich Sie störe.”
“Was ist denn?”
Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass er mit nacktem Oberkörper vor ihr stand. Ihre Augen wanderten über seine Brust, dann hob sie ruckartig den Kopf.
“Ich glaube”, sagte sie, “Sie erwähnten gestern Abend Maude gegenüber, dass sie heute Richtung Iowa fahren. Stimmt das?”
Die Frage machte ihn misstrauisch. Warum wollte sie das wissen? “Muss ich diese Frage beantworten?”
“Warum sollten Sie es nicht tun?”
“Weil ich gern wissen möchte, warum Sie das interessiert. Ich finde es erstaunlich, dass sie sich so sehr für mich interessieren.”
“Es hat gar nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Sondern eher mit …” Sie wischte mit ihren Händen über den teuren Stoff ihrer Leinenhose, bevor sie sie vor der Brust verschränkte. “Mein Wagen wurde gestohlen.”
“Hier vom Parkplatz weg?”, fragte er ungläubig und sah an ihr vorbei zu der Stelle, wo sie gestern Abend ihr Auto abgestellt hatte. Da stand tatsächlich kein Wagen mehr. Dennoch konnte er nicht glauben, dass
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