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Flieh solange du kannst

Flieh solange du kannst

Titel: Flieh solange du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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zu klingen und Interesse für die Tiere draußen vor dem Fenster vorzutäuschen. Ihm wurde klar, dass sie nicht die ganze Zeit als Puffer zwischen ihm und dem Jungen dienen konnte. Das verlangte er auch gar nicht von ihr. Er war ja kein Unmensch. Zwar kannte er ihre ganze Geschichte noch nicht, aber er ahnte, dass ihr Leben auch nicht viel glücklicher verlaufen war als seines. Wenn er sie später in Salt Lake City absetzte, sollte er ihr wenigstens vorher die Möglichkeit geben, sich auszuruhen.
    Trotzdem machte ihm der Gedanke Angst, sich ganz allein und direkt mit Max beschäftigen zu müssen.
    Er versuchte das Gefühl zu ignorieren und hoffte, dass diese schreckliche Schuld, die er empfand, abklang, aber sie tat es nicht. Trotzdem klopfte er Emma auf die Schulter.
    Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu.
    “Jetzt schlafen Sie endlich.”
    Sie schüttelte den Kopf. “Ich bin schon wieder wach.”
    “Erzählen Sie keinen Scheiß. Sie sind todmüde.”
    “Mommy, hast du gehört, was er gesagt hat?”, fragte Max.
    “Das geht dich überhaupt nichts an, Liebling.”
    “Er hat ein verbotenes Wort gesagt, Mommy, ich hab’s genau gehört.”
    “Das ist egal. Es ist nicht unsere Aufgabe, Mr. Holman vorzuschreiben, wie er sprechen soll, erst recht nicht in seinem eigenen Auto.”
    “Darf ich das verbotene Wort auch sagen?”
    “Ganz bestimmt nicht.”
    “Aber er hat es doch auch getan.”
    “Ich bin ja auch schon erwachsen”, mischte Preston sich ein. “Wenn du erstmal so alt bist wie ich, kannst du selbst entscheiden, welche Worte du benutzt.”
    Max schien diese Antwort zu gefallen, aber eine halbe Minute später hörte Preston, wie er anfing vor sich hinzumurmeln: “Scheiße, Scheiße …”
    Emma hörte ihn auch, sie drehte sich zu ihm und rief: “Max! Hör bitte sofort auf damit!”
    Preston drehte den Rückspiegel so, dass er Max sehen konnte. Der Junge murmelte schüchtern: “Ich übe doch bloß für später.”
    Emma schüttelte den Kopf, aber Preston musste lachen. “Ruhen Sie sich aus”, wiederholte er. “Über sein Vokabular können Sie sich auch später noch Gedanken machen.”
    “Sie lächeln ja”, stellte Emma erstaunt fest.
    Prestons Gesicht verdüsterte sich wieder. “Schlafen Sie endlich.”
    “Wenn mein Sohn noch einmal Scheiße sagt, müssen Sie uns die ganze Strecke bis nach Iowa fahren.”
    “Haben Sie wirklich Verwandte dort?”
    Sie gähnte und lehnte sich zurück. “Nein.”
    Emma schloss die Augen, wollte sich aber noch immer nicht vollständig ihrer Müdigkeit ergeben. Sie wollte mithören, was weiter im Auto geschah. Auch wenn sie nicht mehr glaubte, dass Preston wirklich so gefühllos war, wie er tat, hatte er aus seiner Abneigung Kindern gegenüber keinen Hehl gemacht. Sie hatte gesehen, wie er Max gemustert hatte. Offenbar ertrug er seinen Anblick kaum. Und sie wollte nicht, dass Preston irgendetwas Unfreundliches oder Barsches zu Max sagte, während sie schlief.
    “Sind wir jetzt bald da?”, fragte Max.
    Da sie fürchtete, dass diese Frage, die Max nun schon so oft gestellt hatte, Preston wütend machte, versuchte Emma ihre letzten Energiereserven zu mobilisieren, um darauf zu antworten. Aber Preston kam ihr zuvor, und seine Stimme klang viel freundlicher, als sie erwartet hatte.
    “Es wird wohl noch ungefähr dreißig Minuten dauern.”
    “Dreißig Minuten? Ist das lang?”
    “Das ist eine halbe Stunde.”
    “Ist eine halbe Stunde lang?”
    Preston lachte kurz. “Nicht sehr lang.”
    “Bekomm ich ein Eis, wenn wir da sind?”
    Dazu musste Emma etwas sagen. Bei ihrem letzten Halt hatte sie Max Insulin gespritzt, aber sein Blutzuckerspiegel war sehr hoch gewesen. Er durfte keine Süßigkeiten essen, bevor sich das nicht gebessert hatte.
    “Er darf keinen Keks mehr haben, okay?”, murmelte sie.
    Wenn sie sich nicht völlig irrte, klang die Stimme von Preston jetzt beinahe freundlich: “Sie sollten doch längst schlafen.”
    “Er hat schon genug Süßes gehabt.”
    “Ich gebe ihm nichts. Es gibt ja bald Abendessen.”
    Sie wollte zustimmen, war aber viel zu erschöpft und konnte sich nicht mehr rühren.
    “Mein Dad wird ganz schön wütend sein, wenn wir nicht bald wieder nach Hause kommen”, sagte Max.
    Die heiße Sonne, die durch das Beifahrerfenster schien, machte Emma noch schläfriger – beinahe kam es ihr so vor, als läge sie wieder zu Hause neben dem Swimmingpool. Trotzdem bemerkte sie, wie ihr Sohn versuchte, seinen Willen durchzusetzen, indem

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