Flieh Wenn Du Kannst
die denn hier?«
Die Tür öffnete sich. Rod trat ins Zimmer, während die Frau hinter ihm von einem jungen Mann aufgehalten wurde, der ihr ein Heft oder einen Block zur Unterschrift hinhielt. Schon sammelte sich eine kleine Menschenmenge um sie. Aufgeregtes Getuschel war zu hören. »Ist das nicht Marla Brenzelle?« fragte jemand. »Ist das tatsächlich Marla Brenzelle?«
Marla Brenzelle, daß ich nicht lache, dachte Bonnie. Ich hab’ sie in der High School gekannt, als sie noch schlicht und einfach Marlene Brenzel war; bevor sie sich eine neue Nase und einen neuen Busen machen ließ, bevor sie sich ihre Zähne überkronen und ihren Bauch einnähen ließ, bevor sie sich von ihren Oberschenkeln das Fett absaugen und das Haar weizenblond färben ließ. Ich kannte sie schon, als ihr kein Mensch zuhörte außer den Unglücksraben, an die sie sich in den Schulpausen wie eine Klette hängte; ich kannte sie, lange bevor ihr Vater einen Fernsehsender kaufte und sie zum Star ihrer eigenen Talkshow machte. Das einzige, was sich bei Marlene Brenzel seitdem nicht verändert hatte, war ihr Hirn. Es hatte immer noch Spatzenformat.
»Oh, Rod! Ich bin so froh, daß du hier bist.«
»Ich bin gekommen, so schnell es ging. Marla wollte mich unbedingt selbst herfahren.« Rod nahm Bonnie in die Arme. »Was ist denn überhaupt los?«
»Hat man es dir nicht gesagt?« fragte Diana.
»Kein Mensch hat mir etwas gesagt.« Rod drehte sich nach Diana um, offensichtlich erstaunt über ihre Anwesenheit. »Was tust du denn hier?«
»Ich habe sie angerufen, als ich dich nicht erreichen konnte«, erklärte Bonnie.
»Ich verstehe nicht.«
»Vielleicht solltest du dich erst mal setzen«, meinte Diana.
»Was ist denn los?«
»Joan ist tot«, sagte Bonnie leise.
»Was?« Rod umfaßte mit beiden Händen eine Stuhllehne, als brauchte er Halt.
»Sie ist ermordet worden.«
Rods normalerweise schon blasses Gesicht wurde noch eine Spur blasser.
»Sie ist ermordet worden? Das ist doch unmöglich. Wie... wer...?«
»So wie es aussah, ist sie erschossen worden. Sie wissen nicht, wer es getan hat.«
Rod brauchte einen Moment, um ihre Worte zu verdauen. »Was soll das heißen, so wie es aussieht, ist sie erschossen worden? Woher weißt du denn, wie es aussah?«
»Ich war dort«, antwortete Bonnie. »Ich habe sie gefunden.«
»Was? Du hast sie gefunden? Wieso?« Rods Stimme drang bis in den Dienstraum hinaus, der Ton fassungsloser Verwirrung erregte die Aufmerksamkeit der ehemaligen Marlene Brenzel, die ihre Autogrammstunde abrupt unterbrach, um zu ihm zu eilen.
»Ich will sie hier drinnen nicht haben«, sagte Bonnie.
Rod trat hastig in den Dienstraum hinaus, hielt Marla auf, indem er ihr die Hand auf die Schulter legte und sich zu ihr neigte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Bonnie sah, wie in den Augen der Frau Überraschung aufblitzte, obwohl in ihrem Gesicht kein Muskel zuckte. Die sind wahrscheinlich alle festgenäht, dachte Bonnie.
»Die hat so viele Schönheitsoperationen hinter sich, daß sie aussieht wie ein Fleckenteppich«, murmelte Diana. »Ihr Kinn ist so spitz, daß sie damit jemanden erstechen könnte.«
Bonnie mußte sich auf die Unterlippe beißen, um nicht zu lachen. Dann kam Rod wieder ins Zimmer, und das aufquellende Gelächter erstarb ihr in der Kehle.
Er hatte schon Mitte zwanzig die ersten grauen Haare gehabt, und war jetzt, Anfang vierzig, beinahe ganz ergraut. Doch ihn ließ das graue Haar jünger erscheinen; es betonte das dunkle Braun seiner Augen und verlieh den harten Kanten seines Gesichts – der langen Nase, dem eckigen Kinn – eine schmeichelnde Weichheit.
»Wissen es die Kinder schon?« fragte er.
»Noch nicht.« Bonnie ging zu ihm und schob ihren Arm unter den seinen.
»Was soll ich ihnen sagen?«
»Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.« Captain Mahoney löste sich aus dem Menschenknäuel, das Marla Brenzelle umringte, trat in den kleinen Vernehmungsraum und schloß die Tür hinter sich. »Ich bin Captain Randall Mahoney von der hiesigen Kriminalpolizei. Detective Kritzic und ich haben Ihre Frau hierhergebracht.«
»Würden Sie mir bitte erklären, was eigentlich geschehen ist.«
Bonnie beobachtete ihren Mann, wie er dem Bericht des Captain zuhörte: Seine breiten Schultern krümmten sich schlaff nach vorn, als ihm bestätigt wurde, daß seine geschiedene Frau in der Tat erschossen worden war; seine Hände sanken wie leblos an seinen Seiten herab, als er erfuhr, daß Bonnie sich an diesem
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