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Flieh Wenn Du Kannst

Flieh Wenn Du Kannst

Titel: Flieh Wenn Du Kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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rhythmisch zwischen der Suppenschale und dem Mund ihrer Großmutter hin und her bewegte. »Wir sind Joans Kinder. Kannst du dich noch an uns erinnern, Großmama?«
    »Ich bin sicher, ganz tief drinnen weiß sie, wer ihr seid«, sagte Bonnie.
    »Warum sagst du das?« fragte Sam. Er richtete sich auf, beugte sich vor, blickte zwischen Bonnie und seiner Großmutter hin und her.
    »Es ist nur ein Gefühl«, bekannte Bonnie, der vom Geruch der Käsenudeln wieder übel zu werden drohte.
    »Spricht meine Großmutter manchmal mit Ihnen?« fragte Sam die Frau im Rollstuhl.
    »Vielleicht«, antwortete die Frau. »Wer fragt?«
    »Sam«, antwortete er und verdrehte die Augen. »Sam Wheeler.«
    »Es ist ganz schön schwer, die vielen Namen nicht durcheinanderzubringen«, erklärte Mary. »Ich meine, wochenlang haben wir keinen Besuch und plötzlich gibt einer dem anderen die Klinke in die Hand.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte Bonnie.
    »Na, heute morgen war auch schon jemand hier. Ein Mann. Gutaussehend. Hat mich an meinen verstorbenen Mann erinnert, Gott hab ihn selig.«
    »Es war noch jemand hier?« fragte Bonnie.
    »Vielleicht. Wer fragt?«
    »Können Sie sich an den Namen des Mannes erinnern?«
    »Vielleicht. Wer fragt?« wiederholte Mary stur und schob mit der Zunge ihre Prothese hin und her.
    »Bonnie. Bonnie Wheeler. Können Sie sich an den Namen des Mannes erinnern?«
    »Von welchem Mann reden Sie?«
    Bonnie schloß die Augen und atmete einmal tief durch. »Von dem Mann, der heute morgen hier war.«
    »Er hat seinen Namen nicht gesagt. Aber er war ein gutaussehender Mann. Hat mich an meinen verstorbenen Ehemann erinnert, Gott hab ihn selig.«
    »Können Sie mir sagen, wie er aussah?« drängte Bonnie.
    »Er hat ausgesehen wie mein verstorbener Mann«, wiederholte Mary.
    »Wissen Sie noch, was für eine Haarfarbe er hatte?« fragte Bonnie.
    »Ich glaube, er war blond«, antwortete Mary.
    Augenblicklich sah Bonnie ihren Bruder vor sich, wie er groß und blond am Herd in ihrer Küche gestanden hatte.
    »Vielleicht war es aber auch grau«, fügte Mary hinzu.
    Prompt sah Bonnie Rod vor sich, dessen gutaussehendes Gesicht gerade unter dem vorzeitig ergrauten Haar besonders jungenhaft wirkte.
    »Vielleicht war es braun«, meinte Mary nachdenklich, ohne zu ahnen, was für ein Durcheinander sie in Bonnies Kopf anrichtete. Plötzlich schob sie klappernd ihre Zahnprothese aus dem Mund und hielt sie auf der Zungenspitze.
    »Iih, ekelhaft«, sagte Lauren.
    Bonnie flatterte der Magen.
    Mary schob die Prothese in ihren Mund zurück und drückte sie mit einem lauten Klicken in die Verankerung. »Kann ich Ihren Vanillepudding haben?« fragte sie und streckte schon die Hand nach dem Tablett aus.
    »Ich glaube, meine Großmutter würde gern selbst von dem Pudding probieren«, erwiderte Lauren mit überraschender Bestimmtheit und entfernte das Puddingschälchen aus Marys Reichweite. »Möchtest du ein bißchen Pudding probieren, Großmama?« Lauren tauchte den kleinen Plastiklöffel in den Pudding und schob ihn ihrer Großmutter sachte in den Mund. »Schmeckt dir das, Großmama? Schmeckt es gut?«
    Ganz langsam wandte Elsa Langer das Gesicht ihrer Enkelin zu, und ihre Augen bekamen Ausdruck.
    »Großmama?« sagte Lauren. »Großmama, kannst du mich sehen? Erkennst du mich? Großmama, ich bin’s, Lauren.«
    Elsa Langer starrte schweigend ihre Enkelin an. Die anderen im Zimmer beobachteten sie gespannt. Keiner wagte zu atmen.
    »Lauren?« hauchte die alte Frau. Es klang wie ein Seufzen.
    Laurens Augen weiteten sich staunend und glücklich. »Hast du das gehört, Sam?« flüsterte sie. »Sie hat mich erkannt. Sie weiß, wer ich bin.«
    »Großmama«, sagte er hastig, sprang von seinem Stuhl auf und stürzte so stürmisch an ihr Bett, daß er beinahe das Tablett heruntergerissen hätte. »Großmama, ich bin’s, Sam. Kennst du mich noch?«
    »Lauren«, wiederholte Elsa Langer, ohne den Blick von ihrer Enkelin zu wenden.
    »Ja, ich bin hier, Großmama«, sagte Lauren. »Ich bin hier.«
    Doch schon begann der Blick in Elsa Langers Augen zu wandern, schien sich zurückzuziehen, zu erlöschen.
    »Wohin verschwindet sie?« fragte Lauren Sekunden später, als klar war, daß sie nicht zurückkehren würde.
    »Das weiß ich auch nicht«, antwortete Bonnie.
    »Glaubst du, sie hat wirklich gewußt, wer ich bin?«
    »Ja, ganz sicher.«
    Sam stand vom Bett seiner Großmutter auf und ging zur Tür. Er sagte kein Wort, doch es gab keinen Zweifel daran,

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