Flieh Wenn Du Kannst
grauen Hemd, kroch unter die Motorhaube, drehte an diversen Knöpfen und zupfte an verschiedenen Drähten und Ventilen. »Soweit ich sehen kann ist alles in Ordnung«, sagte er. »Sie sagen, er springt nicht an?«
Bonnie nickte, gab Gerry die Wagenschlüssel, und der setzte sich hinters Steuer. Sie sah, wie er den Schlüssel ins Zündschloß schob und ihn dann leicht nach rechts drehte. Der Wagen sprang augenblicklich an.
Ungläubig schüttelte Bonnie den Kopf, vorsichtig jedoch, da immer noch Schwindelgefühl und Übelkeit sie plagten. Sie hatte sich fast die ganze Nacht ruhelos hin und her gewälzt, außerstande, eine bequeme Lage zu finden. Schließlich hatte sie sich damit abgefunden, stur auf dem Rücken zu liegen und auf den Morgen zu warten. Sam hatte sie in die Schule mitgenommen. Als sie ihn fragte, wo er am vergangenen Abend gewesen war, sagte er nur: »Unterwegs.«
»Das verstehe ich wirklich nicht«, sagte Bonnie zu dem Mechaniker. »Ich habe es gestern abend x-mal versucht. Aber es passierte gar nichts.«
»Vielleicht ist Ihnen der Motor abgesoffen.«
»Nein, der Wagen hat ja überhaupt keinen Muckser gemacht. Er war einfach tot.«
»Also jetzt ist er jedenfalls quicklebendig«, sagte Gerry, schaltete den Motor aus und ließ ihn zum Beweis gleich noch einmal an. »Aber vielleicht ist es am besten, Sie bringen den Wagen mal in die Werkstatt und lassen ihn gründlich durchchecken.« Er schaltete den Motor wieder aus und stieg aus dem Wagen.
Nachdem der junge Mann gegangen war, blieb Bonnie noch eine ganze Weile stehen und starrte das Auto an, während sie sich zu erinnern versuchte, was genau am vergangenen Abend geschehen war. Sie hatte sich von Maureen Templeton verabschiedet, war in ihr Auto gestiegen, hatte mehrmals versucht, es anzulassen, ohne daß auch nur das geringste passiert war. Sie erinnerte sich, mehrmals das Gaspedal durchgetreten zu haben. War es möglich, daß sie den Motor hatte absaufen lassen?
»Haben Sie Probleme mit Ihrem Auto?« fragte jemand hinter ihr.
Bonnie brauchte sich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wer es war. Selbst wenn er kein Wort gesagt hätte, hätte der Geruch ihn verraten. Wechselte denn dieser Junge nie seine Kleider, oder hatte er vielleicht schon in aller Frühe seinen Joint geraucht? Kaffee und ein bißchen Gras – ein kleiner Kick zum Tagesbeginn.
»Jetzt scheint alles in Ordnung zu sein«, antwortete Bonnie, sich umdrehend. Das gutaussehende Gesicht des Jungen war halb verborgen unter strähnigem Haar. Dennoch war die bläuliche Schwellung neben seinem Kinn deutlich sichtbar. »Was hast du denn mit deinem Gesicht gemacht?« fragte sie und streckte automatisch den Arm aus.
Er fuhr zurück. »Kleiner Zusammenstoß mit einer Mauer«, sagte er und lachte. Es klang hohl.
»Sieht mehr nach einem Zusammenstoß mit einer Faust aus.«
Haze hob einen tätowierten Arm und griff sich mit der Hand ans Kinn. »Ja, der Alte hat immer noch einen kräftigen Schlag.«
Bonnie starrte ihn bestürzt an. »Dein Großvater hat dich geschlagen?«
»Tun Sie mir einen Gefallen, Mrs. Wheeler«, sagte Haze. »Lassen Sie in Zukunft meine Großeltern aus dem Spiel. Sie mögen es nicht, wenn sie in die Schule zitiert werden.«
»Ich kann nicht glauben...«
»Das Leben ist hart, Mrs. Wheeler«, fiel Haze ihr ins Wort und wippte auf den Absätzen seiner schwarzen Stiefel vor und zurück. »Man weiß nie, wann einem plötzlich jemand eine reinhaut – oder einem die Autobatterie abklemmt...«
»Was?«
»... oder einem netten kleinen Kind einen Eimer voll Blut über den Kopf stülpt...«
»Mein Gott!« Bonnie hatte ein Gefühl, als zöge es ihr die Füße weg. »Soll das heißen...?«
»... oder einem sogar mitten ins Herz schießt«, schloß er nonchalant. »Die Polizei war bei uns, wissen Sie.« Er rieb sich das Kinn. »Darüber war mein Großvater auch nicht gerade erfreut.« Er lachte. »Die wollten wissen, ob ich was damit zu tun hab’, was Sams Mutter und Ihrer Kleinen passiert ist. Wie heißt sie gleich wieder? Amanda? Ja, nette, kleine Kröte. Wär’ doch schade, wenn ihr was passieren würde. Ich würde an Ihrer Stelle echt gut auf sie aufpassen. Tja, also, jetzt muß ich los. Sonst komm’ ich noch zu spät.«
Bonnie konnte ihm nur sprachlos nachschauen, als er ging. Am liebsten wäre sie ihm wie eine Furie hinterhergerannt, hätte ihn zu Boden geworfen, niedergehalten, sein Gesicht, wenn nötig, mit ihren Fäusten bearbeitet, um die Wahrheit aus ihm
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