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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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direkten Kontakt war Masséna sehr viel herzlicher als am Telefon. Fast zu herzlich, weil er fast jedes seiner Worte mit demonstrativen Gesten unterstrich und den Kollegen am Arm packte, ihm auf die Schulter oder auf den Rücken klopfte und im Auto auf den Schenkel.
    »Ich stelle ihn mir eher zwischen zwanzig und vierzig vor.«
    »Das ist nicht gerade eine kleine Spanne, Kollege, das ist schon eher eine große Abweichung.«
    »Aber womöglich ist er achtzig, warum nicht. Seine Mordtechnik erfordert keinerlei Kraft. Schnelles Ersticken durch eine Kunststoffschlinge, wahrscheinlich diese Kabelbinder mit Verzahnungen, die die Elektriker benutzen, um große Kabelrollen zusammenzuschnüren. Ein erbarmungsloses Ding und kinderleicht zu handhaben.«
    Masséna parkte ein Stück von der Leichenhalle entfernt, da er einen Platz im Schatten suchte. Hier in Marseille brannte die Sonne noch, und die Leute liefen mit offenem Hemd umher oder saßen im kühlen Schatten, auf den Stufen der Hauseingänge, einen Korb mit zu putzendem Gemüse auf den Knien. Bertin in Paris würde seine Öljacke suchen, um sich vor den Regenschauern zu schützen.
    Man zog das Tuch von dem Toten, und Adamsberg untersuchte ihn aufmerksam. Die Holzkohleflecken waren von ähnlicher Größe wie die auf den Pariser Leichen und bedeckten fast den ganzen Bauch, die Arme, die Schenkel und die Zunge. Adamsberg fuhr mit dem Finger darüber, dann wischte er ihn an seiner Hose ab.
    »Er wird gerade untersucht«, sagte Masséna.
    »Hat er Flohbisse?«
    »Zwei Stück, hier«, antwortete Masséna und deutete auf die Leistenbeuge.
    »Und bei ihm zu Hause?«
    »Dort wurden sieben Flöhe eingefangen. Die Methode, die Sie mir beschrieben haben, ist praktisch und effektiv, Kollege. Die Viecher sind im Labor.«
    »Ein elfenbeinfarbener Umschlag?«
    »Ja, im Mülleimer. Ich verstehe nicht, warum er uns nicht informiert hat.«
    »Er hatte Angst, Masséna.«
    »Gerade deshalb.«
    »Angst vor den Bullen. Erheblich größere Angst vor den Bullen als vor dem Mörder. Er hat geglaubt, er könne sich allein verteidigen, er hat zwei zusätzliche Schlösser angebracht. Wie haben Sie seine Kleidung vorgefunden?«
    »Über das ganze Schlafzimmer verteilt. Sehr unordentlich, dieser Marmot. Aber was macht das, wenn man allein wohnt?«
    »Das ist seltsam. Der Pestbereiter zieht seine Opfer ordentlich aus.«
    »Er brauchte ihn nicht auszuziehen, Kollege. Marmot schlief nackt auf seinem Bett. So schläft man hier im allgemeinen. Wegen der Hitze.«
    »Kann ich das Haus sehen?«
     
    Adamsberg ging durch den Torbogen eines rot verputzten, heruntergekommenen Gebäudes unweit des Alten Hafens. »Kein Problem mit einem Eingangscode, was?«
    »Der scheint schon eine ganze Weile kaputt zu sein«, erwiderte Masséna.
    Masséna hatte eine starke Taschenlampe mitgebracht, da auch das Treppenlicht nicht mehr funktionierte. Im Strahl der Lampe untersuchte Adamsberg Stockwerk für Stockwerk aufmerksam die Türen.
    »Also?« fragte Masséna, als sie die oberste Etage erreichten.
    »Also, er war bei Ihnen. Das trägt seine Handschrift, kein Zweifel. Der Ansatz, die Schnelligkeit, die Gewandtheit, die Anordnung der senkrechten Striche - das ist er. Er hat sogar ohne große Hast gearbeitet. In den Gebäuden hier wird man wohl nicht oft gestört?«
    »Wenn hier tags oder nachts ein Kerl auftaucht, der eine Tür bemalt«, erklärte Masséna, »ist das angesichts des Zustandes des Hauses allen egal, vermutlich würde es sogar noch als Verbesserung betrachtet. Und was hat er schon riskiert, bei all den Leuten, die zur gleichen Zeit wie er ihre Türen bemalten? Wollen wir ein Stück gehen, Kollege?«
    Adamsberg sah ihn überrascht an. Es war das erste Mal, daß ein Bulle, genau wie er, ein Stück gehen wollte.
    »Ich habe eine kleine Barkasse in einer Felsbucht liegen. Wollen wir aufs Meer raus? Da denkt es sich besser, nicht? Ich mache das oft so.«
    Eine halbe Stunde später befand sich Adamsberg an Bord der Edmond Dantes, eines kleinen Motorboots, das gut im Wasser lag. Adamsberg saß mit bloßem Oberkörper am Bug und schloß die Augen im lauen Wind. Masséna, ebenfalls mit bloßem Oberkörper, stand hinten und steuerte. Keiner von beiden versuchte zu denken.
    »Fahren Sie heute abend?« rief Masséna.
    »Morgen früh«, rief Adamsberg zurück. »Ich würde gern ein bißchen am Hafen herumlaufen.«
    »Ah, ja. Am Alten Hafen kann man auch denken.«
     
    Adamsberg hatte während des Ausflugs das Handy

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