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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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loszuziehen und umherzustreifen. Er würde auf die Katze aufpassen, das wäre eine Erinnerung, so sanft und hübsch wie Camille selbst, aber natürlich weniger prächtig.
    »Wo wirst du schlafen?« fragte er.
    Camille zuckte mit den Schultern.
    »Hier«, entschied Danglard. »Ich klapp dir die Bank aus.«
    »Bemüh dich nicht, Adrien. Ich werde mich drauflegen, weil ich in meinen Stiefeln schlafe.«
    »Warum? Das wird unbequem.«
    »Das ist nicht schlimm. Von nun an schlafe ich in Stiefeln.«
    »Das ist nicht sehr sauber«, wandte Danglard ein.
    »Besser aufrecht als sauber.«
    »Weißt du, Camille, daß hochtrabende Worte noch niemandem aus der Patsche geholfen haben?«
    »Ja, das weiß ich. Es ist mein dämlicher Teil, der mich manchmal hochtrabend daherreden läßt. Oder niedrigtrabend.«
    »Weder auf dem Hochtrabenden noch auf dem Niedrigtrabenden, noch auf dem Selbstgesprächstrabenden ist je etwas gewachsen.«
    »Worauf wächst dann etwas?« fragte Camille und zog ihre Stiefel aus.
    »Auf dem Überlegttrabenden.«
    »Gut«, sagte sie. »Kauf ich mir.«
    Camille streckte sich mit geöffneten Augen rücklings auf der Bank aus. Danglard ging ins Bad und kam mit einem Handtuch und kaltem Wasser zurück.
    »Leg das auf deine Augen, damit sie abschwellen.«
    »Als Gott mit Jean-Baptiste fertig war, hatte Er da noch Masse übrig, Adrien?«
    »Ein ganz kleines bißchen.«
    »Was hat Er daraus gemacht?«
    »Ein paar ziemlich komplizierte Kleinigkeiten, wie zum Beispiel Ledersohlen. Wunderbar zu tragen, aber leider rutschen sie an Steigungen und werden glitschig, sobald es regnet. Diese tausendjährige Schwierigkeit hat der Mensch erst kürzlich überwunden, indem er Gummi daraufgeklebt hat.«
    »Auf Jean-Baptiste kann man keinen Gummi kleben.«
    »Um zu vermeiden, daß man ausrutscht? Nein, das kann man nicht.«
    »Was noch, Adrien?«
    »Er hatte nicht mehr viel Masse, weißt du.«
    »Was noch?«
    »Murmeln.«
    »Siehst du, Murmeln sind wirklich nichts Einfaches.«
    Camille schlief ein, und Danglard wartete noch eine halbe Stunde, bevor er ihr die kalte Kompresse abnahm und das Deckenlicht löschte. Er sah die junge Frau im Dunkeln an. Zehn Monate Bier hätte er dafür gegeben, sie flüchtig berühren zu dürfen, wenn Adamsberg vergaß, sie zu küssen. Er packte die Katze, hob sie hoch und sah ihr starr in die Augen.
    »Unfälle sind blöd«, sagte er zu ihr. »Immer sehr blöd. Und wir beide müssen jetzt ein gutes Stückchen Weg zusammen gehen. Wir warten darauf, daß sie vielleicht zurückkommt. Nicht wahr, Kugel?«
    Bevor er schlafen ging, blieb Danglard vor dem Telefon stehen und zögerte, ob er Adamsberg Bescheid geben sollte. Camille verraten oder Adamsberg verraten. Er meditierte eine ganze Weile vor dem düsteren Tor dieser Alternative.
     
    Während Adamsberg sich eilig anzog, um Camille hinterherzurennen, stellte die junge Frau ihm ängstlich Frage auf Frage, seit wann er sie kennen würde, warum er nicht von ihr erzählt hätte, ob er mit ihr schlafen würde, ob er sie lieben würde, woran er denken würde, warum er ihr hinterherrennen würde, wann er zurückkommen würde, warum er nicht dabliebe, sie bliebe nicht gern allein. Adamsberg bekam einen Drehwurm und konnte keine Frage beantworten. Er ließ sie in der Gewißheit zurück, sie bei seiner Rückkehr mitsamt ihrem Knäuel von Fragen noch immer in der Wohnung anzutreffen. Der Fall Camille war ungleich ärgerlicher, denn Camille war die Einsamkeit egal. Sogar so egal, daß sie beim geringsten Zwischenfall loszog. Adamsberg lief schnell durch die Straßen, die zu große Öljacke des Normannen flatterte, er fror an den Armen. Er kannte Camille. Sie würde verschwinden, und zwar schnell. Wenn Camille sich in den Kopf gesetzt hatte, den Ort zu wechseln, war es ebenso schwierig, sie zurückzuhalten, wie einen mit Helium vollgepumpten Vogel wieder einzufangen, ebenso schwierig, wie ihre Mutter, Königin Mathilde, einzufangen, wenn sie im Ozean tauchte. Camille war den Raum, in dem ihrer beider verschlungene Flugbahnen sich unglücklich überkreuzt hatten, plötzlich leid und brach auf, um in ihren eigenen Breiten zu werkeln. Genau in diesem Moment würde sie ihre Stiefel schnüren, den Synthesizer einpacken, ihre Werkzeugtasche schließen. Camille verließ sich, was die Bewältigung ihres Lebens betraf, sehr auf diese Tasche, sehr viel mehr als auf ihn, dem sie zu Recht mißtraute.
    Adamsberg bog in ihre Straße ein und sah zu ihrem Glasdach hinauf. Kein

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