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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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abgeschaltet und hörte seine Nachrichten ab, als sie wieder an Land gingen. Ein Ordnungsruf von Brézillon, der sich äußerst besorgt über die Panikwelle äußerte, die die Hauptstadt heimsuchte, ein Anruf von Danglard, der ihm den letzten Stand in Sachen Vieren mitteilte, sowie ein weiterer von Decambrais, der ihm die ›Spezielle‹ vorlas, die an diesem Montagmorgen eingetroffen war:
     
    »In den ersten Tagen läßt sie sich in den einfachen, feuchten und schmutzigen Vierteln nieder. Einige Zeit lang macht sie wenig Fortschritte. Sie scheint sogar verschwunden zu sein. Aber kaum sind ein paar Monate verstrichen, da rückt sie, zunächst langsam, in die dichtbevölkerten und in die wohlhabenden Straßen vor und zeigt sich schließlich kühn in allen Vierteln und verbreitet ihr tödliches Gift. Sie ist überall.«
     
    Adamsberg notierte sich den Text in seinem Notizbuch, dann sprach er ihn langsam auf den Anrufbeantworter von Marc Vandoosler. Auf der vernunftwidrigen Suche nach einer Nachricht, die unter den anderen verborgen sein könnte, tippte er erneut auf seinem Handy herum, aber es gab keine. Camille, bitte.
     
    Nach einem üppigen gemeinsamen Abendessen hatte Adamsberg Masséna in der Nacht mit einer herzlichen Umarmung und dem festen Versprechen verlassen, einander wiederzusehen, und ging den südlichen Kai unterhalb der hell erleuchteten Basilika Notre-Dame-de-la-Garde entlang. Schiff für Schiff betrachtete er die Spiegelbilder im schwarzen Wasser, sie waren gestochen scharf bis hin zur Mastspitze. Er bückte sich und warf ein Steinchen ms Wasser, wodurch er das Abbild zum Erzittern, Erschauern brachte. In winzigen Blitzen tanzte das Mondlicht auf den kleinen Wellen. Adamsberg erstarrte, die flache Hand noch auf den Boden gestützt. Er war da, der Pestbereiter.
    Vorsichtig hob er den Kopf und beobachtete die zahlreichen nächtlichen Spaziergänger, die, die letzte Wärme genießend, umherschlenderten. Paare und ein paar Gruppen von Jugendlichen. Kein einzelner Mann. Noch immer in gebückter Haltung, suchte Adamsberg die Kais Meter für Meter mit den Augen ab. Nein, auf den Kais war er nicht. Er war da und war woanders. Mit sparsamen Bewegungen warf Adamsberg ein weiteres Steinchen, das genauso klein war wie das letzte, in das glatte dunkle Wasser. Die Spiegelung erzitterte, und wieder ließ der Mond kurz die kleinen Wellen funkeln. Da war er, im Wasser, in diesem glitzernden Wasser. In den winzigen Blitzen, die in seinen Augen funkelten und dann erloschen. Adamsberg suchte sich einen stabileren Sitz auf dem Kai, beide Hände auf dem Boden, den Blick unter den weißen Schiffsrumpf getaucht. In diesen Blitzen war er, der Pestbereiter. Reglos wartete Adamsberg. Und wie Schaum, der sich aus felsigen Tiefen löst und träge zum Tageslicht aufsteigt, begann das am Vorabend verlorene Bild seinen langsamen Aufstieg. Er wagte kaum zu atmen und schloß die Augen. Im Blitz, das Bild war im Blitz.
    Plötzlich war es vollständig da. Der Blitz am Ende von Joss' Auftritt. Jemand hatte sich bewegt, und etwas hatte gefunkelt, hell und kurz. Ein Blitzlicht? Ein Feuerzeug? Nein, natürlich nicht. Es war ein sehr viel kleinerer Blitz, winzig klein und weiß, so wie die kleinen Wellen heute abend und sehr viel flüchtiger. Er hatte sich von unten nach oben bewegt und war von einer Hand ausgegangen, rasch wie eine Sternschnuppe.
    Adamsberg stand auf und holte tief Luft. Er hatte ihn. Das Funkeln eines Diamanten in der Bewegung einer Hand durch die Luft. Der Hand des Pestbereiters, die geschützt wurde vom König der Talismane. Er war dort gewesen, irgendwo auf dem Platz, mit einem Diamanten am Finger.
     
    Am Morgen, in der Flughafenhalle von Marseille-Marignane, erreichte ihn die Antwort von Vandoosler.
    »Ich habe die Nacht damit verbracht, diese verdammte Textstelle zu suchen«, sagte Marc. »Die Fassung, die Sie mir vorgelesen haben, ist eine modernisierte, sie wurde im 19. Jahrhundert umgearbeitet.«
    »Und?« fragte Adamsberg, der weiterhin große Zuversicht in die Fähigkeiten von Vandooslers Kesselwagen hatte.
    »Troyes. Originaltext von 1517.«
    »Wie bitte?«
    »Die Pest in der Stadt Troyes, Kommissar. Er schickt Sie rum.«
    Adamsberg rief sofort Masséna an.
    »Gute Nachricht, Masséna, Sie können aufatmen. Der Pestbereiter läßt Sie in Ruhe.«
    »Was ist los, Kollege?«
    »Er ist auf dem Weg nach Troyes, in die Stadt Troyes.«
    »Armer Kerl.«
    »Der Pestbereiter?«
    »Der Kommissar dort.«
    »Ich muß los,

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