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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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immer«, erklärte sie, als sie ihr Tablett auf das kleine Tischchen vor der geblümten Bank stellte. »Likör und Rahmkekse, ist Ihnen das recht?«
    Adamsberg sah sie überrascht an, von ihrem schweren, vom Leben gezeichneten Gesicht fast bezaubert. Kernorkian gab dem Kommissar zu verstehen, daß er die Kekse nicht verachten würde, da ihm das im Auto hinuntergeschlungene Sandwich nicht gereicht hatte.
    »Na schön«, sagte Clémentine. »Aber Rahm findet man nicht mehr. Milch ist zu reinem Wasser geworden. Ich ersetz ihn durch Sahne, ich bin dazu gezwungen.«
    Clémentine füllte die fünf Gläser, nahm einen ordentlichen Schluck Likör und sah sie der Reihe nach an.
    »Schluß mit dem Mist«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. »Worum geht es?«
    »Arnaud Damas Heller-Deville«, begann Adamsberg und nahm sich einen Keks.
    »Entschuldigung: Arnaud Damas Viguier«, unterbrach Clémentine. »Das ist ihm lieber. Unter diesem Dach wird der Name Heller-Deville nicht genannt. Wenn es Sie juckt, sagen Sie ihn draußen.«
    »Ist das Ihr Enkel?«
    »Sagen Sie mal, schöner dunkler Mann«, entgegnete Clémentine und streckte Adamsberg das Kinn entgegen, »tun Sie nicht so, als hielten Sie mich für einen Esel. Wenn Sie es nicht wüßten, wären Sie doch nicht hier, oder? Wie sind die Kekse? Gut oder nicht gut?«
    »Gut«, bestätigte Adamsberg.
    »Hervorragend«, versicherte Danglard, und das entsprach seiner tiefsten Überzeugung. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er seit mindestens vierzig Jahren keine so guten Kekse mehr gegessen, und dieser Eindruck erfüllte ihn mit einer unangebrachten Freude.
    »Schluß mit dem Mist«, sagte die alte Frau, die noch immer dastand und die vier Bullen musterte.
    »Lassen Sie mir die Zeit, die Schürze auszuziehen, das Gas abzudrehen und der Nachbarin Bescheid zu sagen, und ich folge Ihnen.«
    »Clémentine Courbet«, sagte Adamsberg, »ich habe einen Durchsuchungsbefehl. Wir sehen uns erst hier im Haus um.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Hauptkommissar Jean-Baptiste Adamsberg.«
    »Jean-Baptiste Adamsberg, es ist nicht meine Art, das Leben von Leuten in Gefahr zu bringen, die mir nichts getan haben, seien es nun Bullen oder nicht. Die Ratten sind auf dem Speicher«, erklärte sie und deutete mit dem Finger zur Decke, »dreihundertzweiundzwanzig Ratten, plus elf Kadaver, übersät mit ausgehungerten Flöhen; ich rate Ihnen, denen nicht zu nahe zu kommen, oder ich garantiere nicht mehr für Ihr Leben. Wenn Sie Ihre Nase da oben reinstecken wollen, müßten Sie zuvor alles desinfizieren. Machen Sie sich keine Umstände: Die Aufzucht ist da oben, und der Apparat, mit dem Arnaud seine Botschaften geschrieben hat, steht in dem kleinen Zimmer. Die Umschläge liegen daneben. Was interessiert Sie noch?«
    »Die Bibliothek«, erwiderte Danglard.
    »Auch auf dem Speicher. Da muß man erst an den Ratten vorbei. Vierhundert Bände, ist das was?«
    »Über die Pest?«
    »Worüber sonst?«
    »Clémentine«, sagte Adamsberg behutsam und nahm sich einen weiteren Keks, »möchten Sie sich nicht setzen?«
    Clémentine zwängte ihren massigen Körper in einen geblümten Sessel und verschränkte die Arme.
    »Warum sagen Sie uns das alles?« fragte Adamsberg.
    »Warum leugnen Sie nicht?«
    »Was, die Pestkranken?«
    »Ja, die fünf Opfer.«
    »Opfer, daß ich nicht lache«, sagte Clémentine. »Peiniger.«
    »Peiniger«, bestätigte Adamsberg. »Folterer.«
    »Sie sollen ins Gras beißen. Je mehr verrecken, desto mehr lebt Arnaud wieder auf. Sie haben ihm alles genommen, sie haben ihn so tief gedemütigt, wie es tiefer nicht geht. Arnaud muß doch wieder aufleben. Das ist nicht möglich, so lange dieses Geschmeiß auf Erden ist.«
    »Geschmeiß stirbt nicht von alleine.«
    »Das wäre zu schön. Geschmeiß ist hartnäckiger als Disteln.«
    »Mußte nachgeholfen werden, Clémentine?«
    »Mehr als nur ein bißchen.«
    »Warum die Pest?«
    »Die Journots sind die Herren über die Pest«, erwiderte Clémentine barsch. »Einen Journot greift man nicht an, das ist alles.«
    »Sonst?«
    »Sonst schicken ihm die Journots die Pest. Sie sind die Herren der Großen Geißel.«
    »Clémentine, warum sagen Sie uns das alles?« wiederholte Adamsberg.
    »Anstatt was zu tun?«
    »Anstatt zu schweigen.«
    »Sie haben mich gefunden, oder? Und der Junge ist seit gestern eingelocht. Also Schluß mit dem Mist, wir gehen, und Schluß. Was ändert das?«
    »Alles«, erwiderte Adamsberg.
    »Nichts«, entgegnete Clémentine mit

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