Fliehe weit und schnell
Schmach abzuwaschen, um zu leben und um euch zu richten.«
Adamsberg ging zum Schrank, zog einen Plastikbeutel heraus, der einen großen elfenbeinfarbenen Umschlag enthielt, und ließ ihn langsam vor Roubauds Augen hin und her baumeln.
»Kennst du das?«
»Ja«, erwiderte Roubaud stirnrunzelnd. »So einer lag auf dem Boden, als ich vorhin die Wohnung verlassen habe. Es war nichts drin, er war leer und bereits offen.«
»Das war der Pestbereiter. Der Umschlag hat dir die infizierten Flöhe gebracht.«
Roubaud verschränkte die Arme vor der Brust.
»Hast du Angst vor der Pest?«
»Nicht besonders«, antwortete Roubaud. »Ich glaube nicht so recht an diesen Blödsinn, das ist dummes Zeug, um die Leute einzuwickeln. Ich glaube, er erwürgt seine Opfer.«
»Da liegst du richtig. Bist du sicher, daß der Briefumschlag gestern noch nicht da war?«
»Ganz sicher.«
Adamsberg strich sich nachdenklich mit der Hand über die Wange.
»Komm und sieh dir den Mann an«, sagte er und wandte sich zur Tür.
Roubaud zögerte.
»Da amüsierst du dich schon weniger als früher, was? In der guten alten Zeit? Komm, du riskierst nichts, das Raubtier ist im Käfig.«
Adamsberg schleppte Roubaud zu Damas' Zelle. Ihr Insasse schlief noch immer den Schlaf des Gerechten, den Kopf seitlich auf der Decke, so daß man sein Gesicht im Profil sah.
»Sieh ihn dir genau an«, sagte Adamsberg. »Nimm dir Zeit. Vergiß nicht, daß du ihn fast acht Jahre nicht gesehen hast und der Kerl damals nicht gerade in Hochform war.«
Nicht ohne Faszination musterte Roubaud Damas durch die Gitterstäbe.
»Und?« fragte Adamsberg.
»Es ist möglich«, sagte Roubaud. »Der Mund ist möglich. Ich müßte seine Augen sehen.«
Zu Roubauds Entsetzen öffnete Adamsberg die Zelle.
»Soll ich sie wieder schließen?« fragte Adamsberg. »Oder willst du, daß ich dich mit ihm einschließe, damit ihr euch wie in eurer Jugend gemeinsam amüsieren und die schönen alten Erinnerungen aufleben lassen könnt?«
»Machen Sie keinen Scheiß«, stammelte Roubaud. »Vielleicht ist er gefährlich.«
»Du bist auch gefährlich gewesen.«
Adamsberg schloß sich in Damas' Zelle ein, und Roubaud beobachtete ihn voller Bewunderung, wie einen Dompteur in der Arena. Der Kommissar rüttelte Damas an der Schulter.
»Wach auf, Damas, du hast Besuch.«
Damas setzte sich brummend auf und betrachtete verblüfft die Wände der Zelle. Dann erinnerte er sich und warf seine Haare nach hinten.
»Was ist los?« fragte er. »Kann ich gehen?«
»Steh auf. Da ist ein Mann, der dich sehen will, ein alter Bekannter.«
Damas tat, wie ihm geheißen, in seine Decke gehüllt, immer noch gefügig, und Adamsbergs Blick wanderte von einem zum anderen. Ihm schien es, als nehme Damas' Gesicht einen verschlossenen Ausdruck an. Roubaud riß die Augen auf, dann verließ er eilig den Raum.
»Und?« fragte Adamsberg, als sie wieder in seinem Büro saßen. »Kommt es dir wieder?«
»Vielleicht«, sagte Roubaud wenig überzeugt. »Wenn er es ist, dann hat er seinen Umfang verdoppelt.«
»Sein Gesicht?«
»Vielleicht. Er hatte kein langes Haar.«
»Bloß kein Risiko eingehen, wie? Weil du Angst hast?«
Roubaud schüttelte den Kopf.
»Vielleicht hast du recht«, bemerkte Adamsberg. »Dein Rächer operiert wahrscheinlich nicht allein. Ich behalte dich hier, bis wir in der Sache klarer sehen.«
»Danke«, sagte Roubaud.
»Sag mir den Namen des nächsten Opfers.«
»Na, ich.«
»Das hab ich kapiert. Der andere. Ihr wart sieben, minus fünf, die gestorben sind, gleich zwei, minus eins gleich eins. Wer ist noch übrig?«
»Ein magerer Typ, häßlich wie ein Maulwurf, meiner Meinung nach der Schlimmste der Gruppe. Er hat ihm den Knüppel reingedrückt.«
»Sein Name?«
»Wir haben uns nicht beim Namen genannt, nicht mal beim Vornamen. Bei so was geht keiner ein Risiko ein.«
»Alter?«
»Wie wir alle. Er war so zwanzig, fünfundzwanzig.«
»Aus Paris?«
»Vermutlich.«
Adamsberg setzte Roubaud in eine Zelle, ohne sie abzuschließen, dann steckte er den Kopf durch die Gitterstäbe der Zelle von Damas und hielt ihm seine Kleidung hin.
»Der Richter hat Haftbefehl erteilt.«
»Gut«, sagte Damas, der auf seiner Bank saß, mit sanfter Stimme.
»Kannst du Latein, Damas?«
»Nein.«
»Hast du mir immer noch nichts zu sagen? Über diese Flöhe?«
»Nein.«
»Und über sechs Typen, die dich an einem Donnerstag, einem 17. März, hochnotpeinlich befragt haben? Hast du mir darüber
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