Fliehe weit und schnell
vernünftigerweise ein Zimmer gegen fünf völlig unsinnige Zettel verhandeln?
»Sieht so aus, als wär eins von Ihren Zimmern frei geworden«, murmelte er.
Decambrais' Züge erstarrten.
»Ich habe bereits Anfragen«, antwortete er sehr leise. »Diese Leute haben Vorrang vor Ihnen.«
»Schon gut«, entgegnete Joss. »Packen Sie Ihr Märchen wieder ein. Hervé Decambrais will nicht, daß ein Rohling seine Teppiche betritt. So ist das doch schneller gesagt, oder? Da muß man schon ein Studium absolviert haben, um da reinzukommen, oder man muß eine wie Lizbeth sein, und weder das eine noch das andere wird bei mir so bald der Fall sein, glaube ich.«
Joss trank seinen Wein aus und knallte das Glas auf den Tisch. Dann zuckte er mit den Achseln und beruhigte sich plötzlich. Bei den Le Guerns hatte man schon ganz anderes erlebt.
»Schon gut«, fuhr er fort und schenkte sich ein weiteres Glas ein. »Behalten Sie Ihr Zimmer. Schließlich kann ich's verstehen. Wir beide sind nicht vom selben Holz, und basta. Was kann man da machen? Sie können die Blätter haben, wenn es Sie so beschäftigt. Kommen Sie heute abend bei Damas vorbei, vor dem Zehnnachsechs-Ausrufen.«
Decambrais kam zur genannten Zeit zum Roll-Rider. Damas war damit beschäftigt, die Inline-Skates eines jungen Kunden einzustellen, und seine Schwester an der Kasse gab Decambrais ein Zeichen.
»Monsieur Decambrais«, sagte sie leise, »wenn Sie ihm sagen könnten, daß er sich einen Pulli anziehen soll? Er wird sich erkälten, er hat es leicht an den Bronchien. Ich weiß, daß Sie logischerweise Einfluß auf ihn haben.«
»Ich habe schon mit ihm geredet, Marie-Belle. Es dauert, bis er versteht.«
»Ich weiß«, sagte die junge Frau und nagte an ihrer Lippe. »Aber wenn Sie es noch mal probieren könnten?«
»Ich rede so bald wie möglich mit ihm, versprochen. Ist der Seemann da?«
»Im Hinterzimmer«, erwiderte Marie-Belle und zeigte auf eine Tür.
Decambrais bückte sich unter aufgehängten Fahrrädern, schlängelte sich zwischen Surfbrettreihen hindurch und gelangte in die Reparaturwerkstatt, die vom Boden bis zur Decke mit Rollen aller Größen vollgestopft war und in der Joss und seine Urne die Ecke eines Arbeitstisches besetzt hatten.
»Ich hab's Ihnen da ans Tischende gelegt«, sagte Joss, ohne sich umzudrehen.
Decambrais nahm die Blätter und sah sie rasch durch.
»Und hier ist die von heute abend«, fügte Joss hinzu. »Als Vorpremiere. Der Verrückte legt einen Zahn zu, inzwischen kriege ich schon drei pro Tag.«
Decambrais faltete das Blatt auseinander und las:
»Auf daß die fortschreitende Infizierung der Erde vermieden werde, follen erftens die Straßen und Häuser fauber gehalten werden, indem Unrat von Menschen entfernt werden foll wie auch ein jegliches Gethier, dabey foll beachtet werden vor allem der Handel mit Fischen, Fleisch, Gekröfe alldort, wo es gemeiniglich zur Anhäufung von Ausscheidung kommt, welche Verwefung erfährt.«
»Ich weiß nicht, was Gekröfe für ein Fleisch sein soll«, sagte Joss, noch immer über seine Stapel gebeugt.
»Gekröse, wenn ich mir erlauben darf.«
»Sagen Sie mal, Decambrais, ich will ja freundlich bleiben, aber mischen Sie sich nicht in Sachen, die Sie nichts angehen. Denn bei den Le Guerns können wir lesen. Nicolas Le Guern war bereits Ausrufer im Zweiten Kaiserreich. Da brauchen nicht Sie zu kommen, um mir den Unterschied zwischen Gekröfe und Gekröse beizubringen, verdammt.«
»Le Guern, das sind Abschriften alter Texte aus dem 17. Jahrhundert. Der Typ schreibt sie Buchstaben für Buchstaben ab, und zwar mit Hilfe alter Schrifttypen. Damals wurden manche S fast wie ein f geformt. So daß in der Anzeige von heute mittag nicht davon die Rede war, der Magistrat ›folle‹ Sorge tragen. Und schon gar nicht von ›Mift‹.«
»Was, das sollen s sein?« fragte Joss lauter und richtete sich auf.
»Ja, S, Le Guern. Sollen, Mist, Gekröse. Alte s in Form von f. Sehen Sie selbst, sie haben nicht ganz dieselbe Form, wenn man sie sich von nahem ansieht.«
Joss riß ihm das Blatt aus den Händen und untersuchte die Schrifttypen.
»O.k.«, sagte er verärgert. »Zugegeben. Und weiter?«
»Es erleichtert das Vorlesen, nichts weiter. Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu beleidigen.«
»Nun, schon geschehen. Nehmen Sie Ihre verdammten Blätter, und verziehen Sie sich. Denn das Vorlesen ist schließlich meine Arbeit. Ich misch mich ja auch nicht in Ihre Angelegenheiten.«
»Das
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