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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zeremonielle Mörder wurde ihm fremd und unverständlich. Auf eine Eingebung hin wählte er Camilles Nummer und streckte sich eine halbe Stunde später auf seinem Bett aus, nackt unter seiner Kleidung, dann nackt ohne seine Kleidung. Camille legte sich auf ihn, und er schloß die Augen. Binnen einer Minute vergaß er, daß siebenundzwanzig Männer seiner Brigade in den Straßen patrouillierten oder sich über ihre Tastaturen beugten.
    Zweieinhalb Stunden später traf er auf der Place Edgar-Quinet ein, mit sich selbst wieder im Einklang und von diesem leichten Ziehen in den Schenkeln begleitet und geschützt.
    »Ich wollte Sie gerade anrufen, Kommissar«, sagte Decambrais, der eben aus dem Haus trat und auf ihn zuging. »Gestern gab es zwar keine, aber heute kam eine.«
    »Wir haben niemanden gesehen, der sie in die Urne geworfen hat«, erwiderte Adamsberg.
    »Sie ist mit der Post gekommen. Er hat die Methode gewechselt, er geht das Risiko nicht mehr ein, selbst zu kommen. Er schickt sie mit der Post.«
    »An welche Adresse?«
    »An Joss Le Guern, hier auf dem Platz.«
    »Kennt er etwa den Namen des Ausrufers?«
    »Viele Leute kennen ihn.«
    Adamsberg folgte Decambrais in sein Refugium und öffnete den großen Umschlag.
     
    Plötzlich geht das rasch bestätigte Gerücht um, daß die Pest in der Stadt in zwei Straßen zugleich ausgebrochen sei. Es hieß, die beiden (...) seien mit den deutlichsten Zeichen des Übels aufgefunden worden.
     
    »Hat Le Guern das ausgerufen?«
    »Ja, um zwölf. Sie hatten gesagt, er solle weitermachen.«
    »Die Texte sind jetzt, wo der Kerl zur Tat geschritten ist, klarer. Welche Wirkung haben sie auf das Publikum?«
    »Unruhe, Fragen und zahlreiche Diskussionen im Viking. Ich glaube, es war ein Journalist da. Er stellte Joss und den anderen haufenweise Fragen. Ich weiß nicht, wie der hier auftauchen konnte.«
    »Wegen der Gerüchte, Decambrais. Das war unvermeidlich. Mit den ›Speziellen‹ der letzten Tage, mit der Bekanntmachung von Dienstagabend und dem Toten vom Morgen hat die Schlinge sich unweigerlich zugezogen. Das mußte kommen. Vielleicht hat der Pestbereiter der Presse aber auch selbst eine Erklärung zugespielt, um einen Wirbelsturm auszulösen.«
    »Das ist gut möglich.«
    »Gestern aufgegeben«, bemerkte Adamsberg, als er den Umschlag umdrehte. »Im 1. Arrondissement.«
    »Mit der Ankündigung von zwei Toten«, ergänzte Decambrais.
    »Schon geschehen«, sagte Adamsberg und sah ihn an. »Sie werden es heute in den Abendnachrichten hören. Zwei Männer, die wie Säcke auf den Bürgersteig geworfen wurden, nackt und mit Kohle eingerieben.«
    » Zweiauf einmal«, erwiderte Decambrais dumpf.
    Er preßte die Lippen zusammen, so daß zahlreiche kleine Falten auf der weißen Haut seines Gesichts entstanden.
    »Decambrais, sind die Körper von Pestkranken Ihrer Ansicht nach schwarz?«
    Der Gelehrte runzelte die Stirn.
    »Ich bin kein Fachmann in dieser Frage, Kommissar, schon gar nicht für die Geschichte der Medizin. Deshalb habe ich ja so lange gebraucht, diese ›Speziellen‹ zu identifizieren. Aber ich kann Ihnen versichern, daß die zeitgenössischen Ärzte dieses Aussehen, diese Farbe nie erwähnten. Flecken, Brand, Bubonen, Beulen, ja, aber nicht dieses Schwarz. Das hat sich erst sehr viel später in der kollektiven Vorstellung verankert, durch eine semantische Verschiebung, verstehen Sie.«
    »Ach so.«
    »Aber das ist unerheblich, denn der Irrtum ist geblieben, und die Pest wird nun mal der ›Schwarze Tod‹ genannt. Diese Worte sind für den Mörder sicherlich wesentlich, denn es sind Worte, die Schrecken verbreiten. Er will beeindrucken, er will das Vorstellungsvermögen der Menschen mit starken Ideen reizen, seien sie nun richtig oder falsch. Und der ›Schwarze Tod‹ trifft wie eine Kanone.«
     
    Adamsberg setzte sich ins Viking, wo es an diesem Spätnachmittag recht ruhig war, und bestellte bei dem großen Benin einen Kaffee. Durch die Scheibe hatte er eine Panoramasicht über den ganzen Platz. Eine Viertelstunde später rief Danglard ihn an.
    »Ich bin im Viking«, erklärte Adamsberg.
    »Hüten Sie sich vor diesem Calvados«, sagte Danglard. »Er ist sehr eigenartig. Er raubt Ihnen im Handumdrehen jegliche Idee.«
    »Ich habe keine einzige Idee mehr, Danglard. Ich bin verloren. Ich glaube, er hat mich trunken gemacht, orientierungslos. Ich glaube, er hat mich reingelegt.«
    »Der Calvados?«
    »Der Pestbereiter. CLT. Apropos, Danglard, vergessen Sie das mit

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