Fliehe weit und schnell
beugen, aber Adamsberg war kein Patient, und die kollektive Aufregung, die durch den Mann mit den Vieren entstanden war, beschäftigte ihn seit ihren ersten Anfängen.
Adamsberg erkannte Ferez von weitem, ein sehr großer, unter einem breiten, grauen Regenschirm ein klein wenig gebeugter Mann mit eckigem Gesicht, hoher Stirn, den Schädel umgeben von einem Kranz weißer Haare, die im Regen glänzten. Er war ihm zwei Jahre zuvor anläßlich einer Abendeinladung begegnet, deren andere Gäste er vergessen hatte. Dieser Mann, der eine taktvolle Gelassenheit pflegte, eine zurückhaltende Zufriedenheit und eine rücksichtsvolle Distanz zu den anderen, die sich in echte Aufmerksamkeit verwandeln konnte, wenn man ihn darum bat, hatte die etwas starren Vorstellungen, die Adamsberg sich von dessen Beruf machte, verändert. Der Kommissar hatte es sich angewöhnt, Ferez zu konsultieren, wenn seine Ahnung vom Funktionieren anderer Menschen an die Grenzen seiner medizinischen Sachkenntnis stieß.
Adamsberg, der keinen Regenschirm besaß, kam völlig durchnäßt zu der Verabredung. Ferez wußte über den Mörder und dessen obsessive Schrullen nur, was er durch die Medien erfahren hatte, und er hörte zu, wie der Kommissar ihm zusätzliche Einzelheiten lieferte. Aus dem ausdruckslosen Gesicht, das der Arzt aus professioneller Gewohnheit zur Schau trug, heftete sich ein eindringlicher, heller Blick auf die Lippen seines Gesprächspartners.
»Ich glaube, daß geklärt werden muß, weshalb der Pestbereiter sich der Pest bedient«, sagte Adamsberg, nachdem er eine lange Dreiviertelstunde erzählt hatte, ohne daß der Arzt ihn einmal unterbrochen hätte. »Es ist nicht so, als ob er eine alltägliche Vorstellung verwenden würde, eine, die in allen Köpfen verbreitet ist, wie zum Beispiel...«
Adamsberg hielt inne, um nach Worten zu suchen.
»Wie zum Beispiel ein Thema, das gerade Mode ist und das niemanden überraschen würde...«
Er brach erneut ab. Etwas mit präzisen Begriffen in Worte zu fassen bereitete ihm manchmal Schwierigkeiten. Ferez versuchte nicht ansatzweise, ihm zu helfen.
»Wie zum Beispiel der Weltuntergang an der Wende zum dritten Jahrtausend, oder bestimmte Fantasy -Themen.«
»Ja«, bestätigte Ferez.
»Oder die immer gleichen Vampir-, Heilands- oder Sonnen-Geschichten. All das könnte einem Mörder, der den Wunsch hat, sich von der Verantwortung für seine Taten zu lösen, als lesbare Verkleidung dienen, Ferez. Unter lesbar verstehe ich für alle verständlich, im Geist unserer Zeit liegend. Würde der Mann sich als Herr der Sümpfe, Abgesandter der Sonne oder des Großen Ganzen präsentieren, würde jeder sofort verstehen, daß es sich um einen Verrückten handelt, der durchgedreht ist oder sich von einer Sekte hat erleuchten lassen. Drücke ich mich klar aus?«
»Fahren Sie fort, Adamsberg. Möchten Sie nicht unter meinen Schirm?«
»Danke, es hört gleich auf. Mit der Pest aber stellt sich unser Pestbereiter außerhalb seines Jahrhunderts. Er ist anachronistisch, er ist ›grotesk‹, wie mein Stellvertreter sagt. Er ist grotesk, weil er völlig neben der Spur ist, weil diese Pest in unserer Zeit auf der Bildfläche erscheint wie ein Dinosaurier im Porzellanladen. Der Pestbereiter steht neben dem allgemeinen Getriebe, er verläßt die gespurten Pisten. Bin ich immer noch klar?«
»Fahren Sie fort«, wiederholte Ferez.
»Und doch gelingt es seiner Pest, so veraltet sie sein mag, historische Ängste zu wecken, die wesentlich weniger amorph sind, als man hätte glauben können, aber das ist ein anderes Thema. Mein Thema ist der Abgrund, der zwischen diesem Kerl und seiner Zeit klafft, diese unverständliche Wahl eines Themas, auf das niemand, absolut niemand gekommen wäre. Dieses Unverständliche muß man zu fassen kriegen. Ich sage nicht, daß es nicht Typen gäbe, die sich mit diesem Thema beschäftigen, unter historischem Blickwinkel natürlich. Ich kenne so einen. Aber sagen Sie mir, Ferez, ob ich mich täusche: So intensiv jemand sich mit seinem Forschungsgegenstand beschäftigen mag, kann dieser Gegenstand ihn doch nicht derartig durchdringen, daß er zur Triebkraft für eine Reihe von Morden wird, oder?«
»Das ist richtig. Das Forschungsobjekt dringt nicht in die instinktiv handelnde Persönlichkeit vor, erst recht nicht, wenn es erst spät in ihr Leben getreten ist. Es ist eine Beschäftigung, kein Trieb.«
»Auch wenn diese Beschäftigung geradezu frenetisch wird?«
»Auch dann.«
»Ich
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