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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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davongegangen. Sie hatte Jean-Baptiste Adamsberg und seine übervölkerten Uferböschungen, jene Welt geräuschvoller Dramen, die ihr zu nahe gekommen waren, vergessen. Sie hatte sich für Jahre entfernt und hatte Adamsberg mit allen Ehren begraben, die man einem schuldet, den man sehr geliebt hat.
    Bis er im letzten Sommer an einer Straßenbiegung aufgetaucht war und ihre totgeglaubte Erinnerung sie auf ziemlich gerissene Weise an den Oberlauf seines Flusses zurückgeführt hatte. Mit einer Stiefelspitze hatte sie ihn wieder angenommen, ein Fuß draußen, ein Fuß drinnen, wobei sie auf einen großen Sicherheitsabstand achtete und manchmal auch schwankte zwischen den Armen der Freiheit und denen von Jean-Baptiste. Bis zum heutigen Abend, an dem dieser unvorhergesehene Schlag ihr dieses Dings in die Stirn gerammt hatte. Wegen einer einfachen Datumsverwechslung. Jean Baptiste war nie sehr penibel gewesen, was Daten anging.
    Durch das Anstarren ihrer Stiefel hatten ihre Beine ihre Entschlossenheit wiedergefunden. Die Bewegungen auf dem Bett verebbten. Camille erhob sich behutsam und ging um den Koffer herum. Sie schlich durch die Tür, als die junge Frau sich aufrichtete und einen Schrei ausstieß. Camille hörte das Geräusch von Körpern, die sich aufgeregt bewegten, Jean-Baptiste, der mit einem Satz aus dem Bett sprang und ihren Namen rief.
    Verschwinde, Camille.
    Ich tu, was ich kann. Camille schnappte ihre Jacke, ihren Rucksack und griff sich das herrenlose Kätzchen von der Bank. Sie hörte die junge Frau reden und Fragen stellen. Fliehen, rasch. Camille stürzte die Treppe hinunter und rannte lange durch die Straßen. Schließlich blieb sie keuchend vor einer verlassenen Grünanlage stehen, stieg über das Gitter und ließ sich auf einer Bank nieder, die Knie angezogen, die Stiefel mit den Armen umschlungen. Das Dings, das in ihre Stirn gerammt worden war, lockerte den Druck.
    Ein junger Mann mit gefärbten Haaren setzte sich neben sie.
    »Alles in Ordnung?« fragte er behutsam.
    Er drückte ihr einen Kuß auf die Schläfe und entfernte sich schweigend.
     

28
     
    Danglard schlief nicht, als nach Mitternacht leise an seine Tür geklopft wurde. Er saß im Unterhemd vor dem laufenden Fernseher, ohne hinzuschauen, trank ein Bier und blätterte immer wieder in seinen Notizen über den Pestbereiter und seine Opfer. Es konnte kein Zufall sein. Dieser Kerl wählte seine Opfer aus, irgendwo mußte es eine Verbindung geben. Auf der Suche nach einem Berührungspunkt, so klein dieser auch sein mochte, hatte er stundenlang die Familien befragt und ging jetzt seine Notizen durch.
    So elegant Danglard tagsüber war, so sehr ließ er sich abends gehen. Dann lief er so herum, wie er in der Kindheit seinen Vater gesehen hatte: in grober Kordhose, Unterhemd und unrasiert. Die fünf Kinder schliefen, daher ging er leise den langen Flur entlang, um zu öffnen. Er rechnete mit Adamsberg, statt dessen stand die Tochter von Königin Mathilde auf seinem Treppenabsatz, sehr gerade, fast starr, ein wenig außer Atem, und unter dem Arm hielt sie etwas, das wie ein Katzenjunges aussah.
    »Weck ich dich, Adrien?« fragte Camille.
    Danglard schüttelte den Kopf und winkte ihr, ihm leise zu folgen. Camille fragte sich nicht, ob ein Mädchen oder irgendwas in der Art gerade bei Danglard war, und ließ sich erschöpft auf das abgewetzte Sofa sinken. Im Licht der Lampe sah Danglard, daß sie geweint hatte. Wortlos machte er den Fernseher aus und öffnete eine Bierflasche, die er ihr hinstreckte. Camille trank sie, ohne abzusetzen, zur Hälfte aus.
    »Es geht nicht gut, Adrien«, sagte sie in einem raschen Atemzug und stellte die Flasche ab.
    »Adamsberg?«
    »Ja. Wir haben uns dumm angestellt.«
    Camille trank die zweite Hälfte ihres Biers. Danglard wußte, woran das lag. Wenn man weint, muß man die Flüssigkeitsmenge ersetzen, die verdampft. Er beugte sich zu dem angebrochenen Sechserpack auf dem Boden neben seinem Sessel hinunter und öffnete eine zweite Flasche, die er auf dem niedrigen, glatten Tisch zu Camille hinüberschob, wie man einen Bauer beim Schach vorrücken läßt voller Hoffnung.
    »Es gibt ganz verschiedene Arten von Feldern, Adrien«, begann Camille und hob einen Arm. »Die eigenen, die man beackert, und die fremden, die man besucht. Es gibt da haufenweise Sachen zu sehen, Luzerne, Raps, Flachs, Weizen und auch Brache und Brennesseln. Den Brennesseln komm ich nie zu nah, Adrien, ich reiß sie nicht raus. Sie gehören mir

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