Fliehganzleis
Ich schnippte meine Visitenkarte in den Morgen hinaus.
28
Von unterwegs rief ich Kendra an, erklärte kurz, wie ich auf sie gekommen war und bat, sie besuchen zu dürfen. Sie sagte sofort zu. Während der Fahrt riefen zwei Journalisten aus Würzburg an, die mich zu den Vorgängen im Schloss Rothenstayn interviewen wollten. Ich sagte, sie seien an meine Leibwächterin geraten und sollten mich in Frieden lassen.
Zwei Stunden später parkte ich mein Auto in der Tiefgarage des Nürnberger Opernhauses. Meine Wut war verraucht. Ich hatte damit rechnen müssen, dass die Presse dazwischenfunkte. Milena hatte eine Lawine losgetreten. Ich wollte nicht an ihrer Stelle sein, das böse Erwachen würde kaum auf sich warten lassen.
Wir Ghostwriter waren in mancher Hinsicht wie Prostituierte. Wir handelten die Entlohnung im Voraus aus und richteten uns dabei nach den Dienstleistungen, die der Kunde erwartete. Während des Arbeitens konnte es zu Nachforderungen von Seiten des Auftraggebers kommen. Manchmal verlangte er Leistungen, von denen er fälschlicherweise meinte, sie seien Gegenstand der Vereinbarungen gewesen. Stress mit Kunden war also nichts Neues für mich.
Auf der Fahrt hatte ich eine CD mit Verdis ›Il Trovatore‹ laufen lassen, eine Oper, in der eine Menge Leute sinnlos und blutig gemeuchelt wurden, was zu Larissas Schicksal und meiner Stimmung passte. Ich hatte nachgerechnet, wie sich der Streit mit Milena finanziell auswirken würde. Um ein Honorar zu errechnen, kalkulierte ich, wie viele Arbeitsstunden ich brauchen und wie viele Seiten das Buch enthalten würde. Daraus ermittelte ich einen Stundenlohn. Gab es noch keinen Verlagsvertrag, schlug ich zehn Prozent auf. Bei manchen Projekten hingegen fand ich schnell einen Verlag, der das Buch vermarkten wollte, und handelte dann eine prozentuale Beteiligung am Gewinn aus. Bei allen Aufträgen begann ich erst zu schreiben, wenn mein Kunde mir die Hälfte der vereinbarten Gesamtsumme als Vorschuss überwiesen hatte. Bei Larissa war das nicht anders gewesen. Insofern würde ich bei einem Verdienst von plus minus null herauskommen.
Das Zerwürfnis mit Milena schmerzte nicht wegen des Geldes. Vielmehr hatte ich Larissas Geschichte zu meiner persönlichen Angelegenheit gemacht – ein Riesenfehler, wie mir alle Kollegen versichern würden. Zwar schlüpften wir alle gern in andere Leben, aber wir hielten doch eine gewisse Distanz, um emotional nicht umzukippen. Die meisten von uns waren nicht mit Absicht in den Beruf des Ghostwriters gerutscht. Einige hatten dann auch nach spätestens zwei Projekten keine Nerven mehr dazu, ihr eigenes Ego in den Hintergrund zu stellen und sich ganz auf die Ansichten anderer Menschen einzulassen. Diese Kollegen wanderten in andere Schreibberufe ab. Außerdem gab es die Cracks, die voller Begeisterung von einem Promi zum nächsten taumelten und süchtig wurden nach fremdem Glanz und Glamour. Viele von ihnen arbeiteten bis ins hohe Alter, was allerdings auch dadurch notwendig wurde, dass die meisten in unserer Branche keine Reichtümer anhäuften. Es blieb noch eine kleine Gruppe von Geisterschreibern übrig, die bei diesem Beruf blieben, weil sie handwerklich gut arbeiteten oder nirgendwo anders mehr unterkamen. Ich wusste nicht einzuschätzen, zu welcher Sippe ich gehörte: zur zweiten oder zur dritten.
Ich hängte mir die Schultertasche mit meinem Ghost-Equipment um und machte mich auf den Weg in die Innenstadt.
Kendra White-Höfner wohnte in der Kaiserstraße, nah beim Josephsplatz. Während ich einen Umweg um die Lorenzkirche machte und durch die Fußgängerzone schlenderte, wo ich die Auslagen in den Geschäften begutachtete, holte mich die Müdigkeit ein. Ich schrieb eine SMS an Nero, um ihm mitzuteilen, wo ich war und dass ich am Abend nach Hause fahren würde. Der Gedanke, dass ich anfing, mein Herz an einen Mann zu hängen und auf seine SMS zu warten, gefiel mir nicht. Stattdessen rief Juliane an.
»Herzchen, es ist ja in Ordnung, wenn ich Babysitter für deine Gänse spiele, aber hieltest du es nicht für nötig, mir mitzuteilen, wann du nach Hause zu kommen gedenkst?«
Bullshit. Juliane und die Gänse hatte ich völlig ausgeblendet.
»Tut mir leid, Juliane! Ich hätte mich heute noch gemeldet … «
»Das sagen alle.«
»Nein, im Ernst. Ich bin in Nürnberg und komme heute Abend heim. Dann fahre ich bei dir vorbei … «
»Ich nehme dich beim Wort.« Sie legte auf.
Ich schaltete mein Handy aus. Keiner konnte Juliane
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