Fliehganzleis
wären. Ich wollte doch weiterschreiben! Kendra White treffen, die alten Geschichten aufdecken … warum nicht gegen Kohle? Aber war das rechtlich überhaupt möglich, den Auftrag zu übertragen? Noch lebte Larissa.
»Was ist jetzt?«, erkundigte sich Milena. Ihre hellen Augen blickten trotzig.
Mein Bauch sagte: Tu’s nicht. Sie ist nicht wie Larissa. Sie hat weder Larissas großes Herz noch ihre Liebenswürdigkeit noch ihr asymmetrisches Lachen.
Mein Hirn sagte: Tu’s. Ihre Coolness, die Fassade aus Härte machen sie interessant.
»Ich muss zur Toilette.« Ich brauchte ein paar Minuten, um die Sache für mich zu klären, verschwand im Schloss, blieb im Vestibül stehen, weil ich Motorengeräusche hörte. Aber sie kamen nicht von Neros skandinavisch-behäbigem PKW .
Ein Smart brauste die Auffahrt herauf. Kurz sah ich hinter dem Steuer Ben Bergers kahlen Kopf. Er hielt, stieß die Fahrertür auf und reichte Milena eine zusammengerollte Tageszeitung, bevor er wendete und auf und davon fuhr. Milena faltete die Zeitung auseinander. Ich lief hinaus und stellte mich hinter sie. Traute meinen Augen nicht.
»Milena – haben Sie das verbrochen?« Ich zeigte auf die erste Seite.
»Was soll das denn heißen? Ich habe gestern mit Ben Berger gesprochen. Er war sehr nett. Warum sollte ich nicht die Unterstützung der Presse in Anspruch nehmen?«
»Wieso Unterstützung? Wobei?« Mit heißem Gesicht überflog ich den Artikel.
Mein Name prangte schon in der zweiten Zeile. Berger bezeichnete mich als Vertraute der Gräfin, die seit Wochen für deren Autobiografie recherchiert und den Kerzenleuchter als Tatwaffe identifiziert habe. Der Reporter fragte sich, wie es sein könne, dass jene Kea Laverde den Angriff auf die Gräfin, deren Vertraute sie doch war, nicht mitbekommen habe, und warum die Biografin der Presse auswich. In einem zusätzlichen Kommentar, in einem Kasten rechts unten abgedruckt, wurden die Leser der Zeitung über den Beruf des Ghostwriters aufgeklärt. Von der Salbaderei stimmte nicht mal die Hälfte. Natürlich würzte der Jungredakteur seine Nachforschungen mit dem pikanten Detail, dass Larissas Biografin mit einem Polizeihauptkommissar eine Beziehung hatte. Neros Dank war mir sicher. An Martha Gelbach gar nicht zu denken.
Oben auf der Seite, über dem Schriftzug ›Mainpost‹, winkte Larissa als Teaser von Seite eins, daneben stand: ›Ist die Gräfin Opfer eines politisch motivierten Mordanschlages?‹ Danach schwadronierte Ben Berger über Larissas Fluchtvorbereitungen, das Scheitern des ersten Fluchtversuches und die Zeit in Stasi-Haft.
›Larissa Gräfin Rothenstayn ließ sich bald nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik als Gynäkologin in Rothenstayn nieder. Seit 1975 lebte sie auf dem Schloss, einem Erbe ihrer gräflichen Familie, das in nur wenigen Monaten renoviert und bezugsfertig gemacht wurde. Nun erfährt unsere Gemeinde von dem abenteuerlichen Vorleben der beliebten Medizinerin, die Hunderten von Rothenstayner Kindern auf die Welt geholfen und ihre Mütter vor und nach der Niederkunft betreut hat. Wir fragen uns nur, wer ein Interesse hatte, die Gräfin fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR umzubringen. War sie dabei, ihrer Ghostwriterin Details aus dem Haftalltag im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen zu schildern? Wollte sie Spitzel des M f S enttarnen? Gibt es selbst im Jahr 2008 noch offene Rechnungen? Was weiß die Biografin der Gräfin?‹
»So viel Schwachsinn am Morgen bekommt meinem Kreislauf nicht«, sagte ich. »Milena, wie konnten Sie das tun! Und dieser Teaser, von wegen Politmord! Die Polizei dankt es Ihnen, da bin ich sicher. In spätestens zwei Stunden kriechen hier die Sensationsjäger durchs Gehölz. Freunden Sie sich am besten gleich mit dem nächsten Schmierfink an!«
Milena kochte über. »Ich könnte Unterstützung gebrauchen und keine Vorhaltungen! Stehen Sie eigentlich auf Larissas Seite? Oder was ist Ihr Ziel? Meine Cousine zu kompromittieren?«
So einen Irrsinn hatte ich noch nie einen lebendigen Menschen absondern hören.
»Warum haben Sie die Presse gefüttert?«, fauchte ich. »Haben Sie das für sich getan? Oder in wessen Namen? Erwarten Sie sich irgendeinen Vorteil?«
»Meine Herren! Stehe ich vor Gericht?« Milena lief rot an. Ihr Haar stand in alle Richtungen ab, als sei es elektrisch aufgeladen.
Ich zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche und ging zu meinem Alfa. »Wenn Sie doch noch eine Ghostwriterin benötigen – melden Sie sich!«
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