Fliehganzleis
ebenso wenig wollte er selbst anderen die Zeit stehlen. Nach einem raschen Abschied von Kea und vom Schloss saß er daher um kurz vor sechs Uhr am Montagmorgen in seinem Volvo. Bis neun wollte er in München sein. Er verkabelte sich und rief Martha Gelbach an.
»Ach, der eifrige Kollege«, sagte sie ironisch, kaum hatte sie abgenommen.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
»Bin immer noch eine krankhafte Frühaufsteherin.«
»Gibt es Ergebnisse?«
»Zur Genüge. Wir haben eine DNA -Spur. Der Täter ist ein Mann. Er muss sich selbst verletzt haben, als er Larissa aus dem Haus schleifte. Die alten Türklinken mit ihren Verzierungen können recht scharfkantig sein. Jedenfalls klebte dort Blut von einem Mann. Nicht aktenkundig.«
»Gut«, sagte Nero, während er die Scheibe herunterließ. An diesem Morgen war kaum jemand unterwegs. Ein paarmal atmete er tief durch.
»Schon, aber wir haben überhaupt keinen Verdächtigen. Für die Cousine der Gräfin ist die Schonzeit beendet. Ich werde sie mir heute zur Brust nehmen.«
»Sie scheint mir wirklich nicht extrem mitgenommen«, entgegnete Nero. »Schockiert, das ja, aber ich halte sie für durchaus vernehmungsfähig.«
»Ist sie kooperativ?«
»Auf alle Fälle.« Nero ließ sich von seinem Navigationsgerät die Verkehrsmeldungen anzeigen. Wenigstens auf den Straßen lief an diesem Morgen alles rund.
»Milena von Rothenstayn ist die Haupterbin. Larissa hat ein entsprechendes Testament bei ihrem Notar hinterlegt. Aber als Täterin kommt sie nicht infrage.«
»Denken Sie an den Zeugen, der eine Frau gesehen haben will … «, wandte Nero ein.
»Milena Rothenstayn war zum Zeitpunkt des Angriffes in Hamburg. In ihrer Firma fand eine Vernissage statt. 100 Leute haben sie gesehen. Die Feier ging bis nach Mitternacht.«
Mist, dachte Nero. Geld war immer ein gutes Motiv. Spielte in beinahe jedem Mordfall mit. Halt, wir haben – noch – keinen – Mordfall, mahnte er sich und fragte: »Haben Sie Neuigkeiten in der Katja-Geschichte?«
»Ich würde die Worte der Gräfin nicht auf die Goldwaage legen. Zunächst nahm ich an, der Begriff ›Katja‹ könne uns rasch zu einer anderen Person führen, und diese wiederum Aufschluss geben über Zusammenhänge mit der Tat. Aber mittlerweile … ich finde so gar nichts über einen Mord an einer Katja. Vor drei Jahren starb in Schweinfurt eine Katharina Merzbacher nach einer Attacke mit einem Messer, durch ihren eigenen Ehemann. Sollte das unsere Katja sein? Eher nicht. Es gibt keinen Zusammenhang.« Sie räusperte sich. »Mein Adju sucht weiter.«
»Da haben Sie Glück, dass Ihr Kollege das Graben im Archiv übernimmt.«
»Kann man so sehen.«
Nero verstand. Martha Gelbach spannte ihren Mitarbeiter für langweilige Recherchearbeit ein, um ihn sich eine Weile vom Hals zu schaffen.
»Der Mord an dieser Katja kann länger zurückliegen«, überlegte Keller.
»Helfen Sie mir! Eine Hand wäscht die andere und so weiter, Herr Keller!«
»Ich werde die Kollegen im LKA bitten. Nur eins noch: Es könnte sich auch um einen Mord in der ehemaligen DDR handeln.«
»Schon klar, schließlich hat Larissa dort gelebt«, gab Martha Gelbach zu. »Und es gibt noch ein Problem: Die Gräfin sprach von einem Mörder, aber es ist denkbar, dass der Tod dieser Katja nie als Mordfall zu den Akten gegangen ist, weil … nun, weil niemand Lunte roch oder riechen wollte. Und alle toten Katjas aus 40 Jahren DDR zusammenzutragen … aber vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig.«
»Wie geht es der Gräfin?«
»Hundsmiserabel. Sie ist nicht mehr aus der Bewusstlosigkeit aufgewacht. Der Schlag auf den Kopf hat massive Einblutungen verursacht, ein Teil des Schädelknochens ist in die Gehirnmasse getrieben worden. Die Verletzungen sind erheblich. Was macht eigentlich Frau Laverde?«
Nero ärgerte sich, weil er sich räusperte. Nun geriet er auf schwieriges Terrain. Er war stolz, Kea endlich seine Gefühle gezeigt zu haben, und glücklich, dass sie Vertrauen zu ihm gewann. Gleichzeitig fürchtete er sich vor zu viel Euphorie, nur für den Fall, dass er enttäuscht würde. Dieser Cocktail an Empfindungen machte ihn Martha Gelbach gegenüber angreifbar.
»Sie will die Autobiografie der Gräfin zu Ende schreiben.«
»Mich beunruhigt diese Aktivität nur ein kleines bisschen«, sagte die Kommissarin ironisch. »Denn irgendjemand hat Larissa von Rothenstayn den Schädel eingeschlagen, und ich wüsste gern, wer das war. Und warum. Da sollte die
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