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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Leute glauben.«
    »Was du nicht sagst. Übrigens steht dir der fehlende Nasenring sehr gut.«
    »Ich weiß, findet Gabriela auch. Dein Telefon hab ich aufgeladen.« Sie greift in ihre Tasche und will das Handy auf den Tisch legen, überlegt es sich aber anders. Kichernd macht sie ein Foto seines Frühstücks und beginnt zu tippen. »Wenn ihr schon nicht zusammen esst, dann zeigt euch wenigstens eure kleinen fettigen Geheimnisse.«
    »Was Neues aus Rapa?« Hartmut blickt durch die offene Tür in den Frühstückssaal und sieht Gabriela vor dem Toaster warten.
    Die triumphierende Miene verschwindet aus Philippas Gesicht.
    »Ich hab João angerufen. Der Arzt in Celorico sagt, es war ein leichter Infarkt. Oder könnte einer gewesen sein. Avô behauptet, er fühle sich schon viel besser, trotzdem bringen sie ihn heute nach Guarda. Da soll er richtig untersucht werden. Danach wissen wir hoffentlich mehr.«
    »Wer ist ›sie‹?«
    »Irgendwer aus dem Dorf. João kann vor dem Wochenende nicht weg aus Lissabon.« Sie seufzt und sieht ihn an. »Warum weiß man bei alten Leuten nie, ob sie sagen, was sie sagen, weil es wirklich so ist, oder bloß, weil sie in Ruhe gelassen werden wollen?«
    »Weil sie in Ruhe gelassen werden wollen.« Tröstend legt er ihr den Arm um die Schulter und fragt sich, was sie Marias Bruder über den gestrigen Abend erzählt hat. So vertraut wie die beiden sind, ist er sicher, dass João längst weiß, was Philippa ihm bis gestern verschwiegen hatte. »Lass uns hinfahren. Heute ist Mittwoch. Am Freitag können wir losfahren. Am Wochenende hast du vermutlich keinen Unterricht?«
    »Wir müssen nicht länger so tun, als wäre ich nach Santiago gekommen, um Spanisch zu lernen.« Sie hat fertig getippt und gibt ihm das Telefon. Über die Bande irgendeines Satelliten saust in diesem Moment das Bild einer angebissenen Tortilla von Santiago nach Kopenhagen. Das nennt man Kommunikation, von lateinisch communicare: gemeinsam machen, teilen, mitteilen, Anteil haben. Optimisten sprechen auch von Zwischenmenschlichkeit, ohne die beängstigende Größe dessen zu beachten, was dazwischen liegt.
    »Okay«, sagt er. »Gehst du überhaupt zum Unterricht?«
    »Meistens. Kann ja nicht schaden. Wir können aber auch morgen fahren. Die zwei Stunden am Freitag ...« Werden mit einem Fingerschnipsen für überflüssig erklärt.
    »Ihr seid also schon länger zusammen? Seit sie in Hamburg war. Richtig?«
    »Sie heißt Gabriela.«
    »Gabriela.« Manche sagen auch Engel zu ihr. Jedenfalls steht sie mit einer Engelsgeduld vor dem Toaster, und wahrscheinlich ist sie überhaupt ein strukturierter, ruhig handelnder Mensch. Das passende Gegenstück zu Philippas quirligem Temperament. Sorgfältig und mit der dafür vorgesehenen Zange zieht sie zwei Toastscheiben aus der Maschine und legt sie auf ihren Teller.
    »Morgen also?«, fragt Philippa.
    »Bitte? Ja, wann immer du willst.« Kurz schauen sie einander an, dann wendet seine Tochter sich ihrer Freundin zu, die wieder auf die Terrasse kommt und bei ihnen Platz nimmt.
    »Der Toaster«, sagt Gabriela. »Ein Jahr Wartezeit.«
    Hartmut murmelt etwas von den Tücken der Technik undisst weiter. Gestern im Café hat er in seiner ersten Verwirrung geglaubt, dass jene Marta hinter der Theke Philippas Freundin sei. Vielleicht wegen der Art, wie die beiden einander zwischendurch ansahen und ihm das Gefühl gaben, sie verständigten sich mit geheimen Zeichen. Jetzt glaubt er, dass es ihm lieber wäre, er hätte recht gehabt.
    »Ich weiß nicht, wie ich darauf komme«, sagt er, um sich von dem Gedanken loszureißen, »vielleicht wegen des Bambus da hinten an der Mauer. Jedenfalls fällt mir diese Geschichte ein, die ein Doktorand von mir im Seminar erzählt hat. Tut mir leid, aber ich kann sie nur auf Deutsch wiedergeben.« Er lächelt und Gabriela lächelt, Philippa knabbert konzentriert an einem Apfel. »Die Geschichte handelt von einem weisen Eremiten im alten China, der sich auf einen Berg zurückgezogen hat. Manchmal kommen Schüler zu ihm, um sich vom Meister unterweisen zu lassen. Was schwierig ist, weil er nicht spricht. Er ist ein großer Schweiger. Wie auch immer, als eines Tages eine Gruppe Schüler in seine Höhle kommt, stellt er ihnen die Aufgabe, den Mond zu malen. Das heißt, er legt Pinsel und Tusche und ein paar Stücke Stoff auf den Tisch und zeigt auf den Mond am Himmel. Die Schüler verstehen, was er meint, und machen sich ans Werk. Als alle fertig sind, entlässt der

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