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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Romane, die er gelesen hat, handelte von einem älteren Mann, der die Freundin seiner lesbischen Tochter ziemlich scharf fand und dadurch in eine Bredouille geriet, von der Hartmut sich nicht bedroht fühlt. Alle entscheiden sich für Kaffee und Orangensaft. Möwen schweben so tief über die Dächer, dass ihre aufgerissenen Schnäbel zu erkennen sind, wenn sie schreien.
    »Welche Sprache sprechen wir?«, fragt Philippa, weil alle einen Moment lang stumm an Sets und Servietten gezupft haben.
    »Mein Deutsch ist nicht gut.« Gabriela macht eine entschuldigende Handbewegung, die zwar Hartmut gelten muss, sich aber nicht an ihn richtet. Was ihm gefällt. Gleichzeitig beginnt er zu ahnen, dass das ein langes Frühstück werden wird. Eigentlich hat er keinen Hunger.
    »Sie sprechen Deutsch?«, fragt er und fängt sofort einen tadelnden Blick von Philippa.
    »Nicht diese Siezerei, bitte!«
    »Keine Siezerei, verstanden. Du sprichst Deutsch?«
    »Aber sehr schlecht.«
    Jedenfalls mit starkem Akzent. Auf Nachfrage erfährt er, dass sie es während eines Austauschsemesters gelernt habe, in Hamburg natürlich. Letzten Sommer war das. Philippa lächelt, und Hartmut muss an sich halten, ihr nicht gebieterisch eine Hand auf die mit dem Besteck spielenden Finger zu legen.
    »Verstehe«, sagt er. »Mein Portugiesisch ist in zwanzig Jahren nicht gut geworden. Jeden Sommer frische ich es auf und habe dann genug Zeit, es wieder zu vergessen. Ein ewiger Kreislauf.«
    Die Getränke kommen. Die Rückseite des Hotels besteht ab dem ersten Stock aus Glas und der weißen Holzverkleidung, die man in Santiago häufig sieht. Drinnen bewegen sich Schemen, vor allem um das Büfett herum. Der Betrieb nimmt zu.
    »Hat Ihnen ... hat dir Hamburg gefallen?«, überwindet er sich zu fragen.
    »Sehr.«
    »Ob du es glaubst oder nicht, ich war erst einmal dort. Vor vielen Jahren. Meine Tochter hat mir bisher keine Besuchserlaubnis erteilt.« Dieses Wort kennt Gabriela nicht, und Philippa tut, als habe sie es nicht gehört. Sein Satz baumelt ins Leere, Hartmut trinkt Kaffee und spürt dessen Hitze durch seinen Brustkorb strömen. Die Stadt scheint verschwunden zu sein, er hört keine Autos oder Schritte, weder Kirchenglocken noch die Stimmen der allgegenwärtigen Touristenführer.
    »Ist es nicht so?«, fragt er.
    »Ich hab dich gehört«, sagt Philippa. »Vielleicht besprechen wir das ein andermal.«
    Um die erneute Pause zu füllen, gehen sie zum Büfett. Hartmut entscheidet sich für eine fettig aussehende Tortilla und mehrere Scheiben roter Wurst und trägt seinen Teller zurück auf die Terrasse. Die hintere Mauer bildet zugleich die Rückwand des angrenzenden Hauses, verborgen hinter einer Reihe schlanker Bambus-Stämme. Zwei Männer, die am Nebentisch Platz genommen haben, geben sich durch ihre Begrüßung als Amerikaner zu erkennen und erinnern Hartmut an die Gruppe, die gestern Abend neben Philippa und ihm saß, junge Männer mit Pfadfindertüchern, die von Jesus sprachen, als hätten sie neulich eine CD von ihm entliehen. Philippa meinte später, er müsse sich verhört haben, aber er könnte schwören, dass einer gesagt hatte: God is doing a tremendous job in China. Das war in einer der Gassen zwischen seinem Hotel und der Kathedrale, inmitten einer Volksfeststimmung, die sich in rhythmischem Klatschen und Schlachtgesängen entlud. Philippa aß Salat und Käse und erzählte, dass jener Michael kein Phantom gewesen sei, sondern ihr letzter Versuch, die Wahrheit zugunsten eines abwegigen Wunsches zu verdrängen. Hartmut hörte zu und nickte, aber in Wirklichkeit war er überfordert. Am Nebentisch die fünf Amerikaner, die sich an wachsenden christlichen Gemeinden in Fernost berauschten, in seinem Rücken ein unbegabter Saxophonist, und vor ihm saß Philippa und erzählte eine schwierige Lebensgeschichte, die angeblich die ihre war.Unbarmherzig warfen die granitenen Hauswände alle Echos zurück. Ohne es zu merken, musste er eine leidende Miene aufgesetzt haben, jedenfalls legte Philippa ihr Besteck beiseite und sagte: »Gehen wir woanders hin.« Sie schob ihr Fahrrad neben ihm her, durch ruhigere Gassen und aus der Altstadt hinaus, in die wohltuende Stille der Alameda.
    Jetzt nimmt sie mit breitem Grinsen neben ihm Platz, deutet auf seinen Teller und sagt: »Kleine Nährwertanalyse gefällig?«
    »Lass dir dein Obst schmecken. Sieht lecker aus.«
    »Körperliches und geistiges Wohlbefinden haben mehr mit richtiger Ernährung zu tun, als die meisten

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