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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Bundeskanzler heißt Schmidt und der Feind der Linken BRD. Immer wieder hat Hartmut von seiner Lektüre auf- und aus dem Fenster gesehen, als ließe das Gelesene sich draußen verifizieren. All die vielen Dinge, die hier wirklich passiert sind, während er in der Wilson Library saß und eine Dissertation über Sprechakttheorie geschrieben hat. Aber das ist es nicht, was Ruth meint.
    »Ob ich allerdings in der Tagesschau hören will: Der baden-württembergische Ministerpräsident Rommel erklärte ... Das weiß ich auch nicht.«
    »Hartmut, willst du noch Kaffee?«
    »Ich hab noch, danke. Für seinen Namen kann er ja nichts.«
    »Heiner, nimmst du deinem Sohn bitte eins von den Kuchenstücken wieder ab?«
    »Ich sage ja nur: Es klingt komisch. Felix, hör auf mit dem Unsinn! Du kennst die Regeln. Florian, die Regeln gelten für euch beide. Zurück damit!«
    »Willst du mit nach Arnau fahren, Hartmut, oder hier warten?«
    » Ich will nach Arnau!«
    »Schatz, wir haben eure Sitze nicht im Auto, und ich will nur Oma und Opa abholen. Die beiden kommen zum Abendessen hierher.«
    »Wollten wir eigentlich grillen? Und hast du Zeit, kurz bei Happels zu halten und den Schlagbohrer abzuholen?«
    »Das schwere Ding?«
    »Kann Bernd dir ins Auto laden. Ich komm sonst oben mit der Wand nicht weiter.«
    »Grillen, grillen!«
    »Es ist Samstag, wo soll ich noch Fleisch herkriegen? Hartmut, hattest du jetzt gesagt, ob du ... Felix, ich höre dich. Wir besprechen es ja gerade.«
    »In Arnau im Gefrierhaus liegen die Würstchen vom Richtfest.«
    »Ich denke, ich bleib einfach hier«, sagt Hartmut und nickt. Mit einem Mal erscheinen ihm die letzten fünf Jahre merkwürdig entrückt. Hier wurden Kinder geboren und Häuser gebaut. Aus der kleinen dummen Ruth ist eine junge Mutter geworden. Was ihn ratlos macht, könnte die ungeheure Entfernung sein. Die und die Gleichzeitigkeit. Zu denken, dass Sandrine gerade auf dem Rasen der Mall sitzt, genau jetzt, ohne ihn. Oder schläft sie noch? Es kommt ihm vor, als ob unaufhaltsam an den Rand seines Lebens rücken würde, was jahrelang im Mittelpunkt gestanden hat. Und die Mitte? Einstweilen ist es leer dort und wird auf unbestimmte Zeit so bleiben. Er kann nur warten.
    Ruth schüttelt den Kopf.
    »Moment mal, du willst doch nicht morgen diese Wand da oben rausnehmen?«
    »Und dann stellt er sich auch noch hin und sagt, ihm sei schweres Unrecht angetan worden – ihm! Ich meine, wie unverschämt kann man sein.«
    »Lieber Herr Hochhuth, morgen ist Sonntag.«
    »Ich weiß, Liebling, aber morgen spielt Bernd Fußball, und am Montag muss er wieder arbeiten. So lange Ferien wie ich hat sonst niemand.«
    »Ich will aber mit nach Arnau.«
    »Ihr zwei helft Papa und Hartmut dabei, das Feuer zu machen, okay? Wie viele Würstchen soll ich mitbringen?«
    »Ich will zwei!«
    »Bring die ganze Tüte mit, Ruth. Ich hab Angst, unsere Kinder fangen demnächst an, bei den Nachbarn zu betteln.«
    »Ich will drei.«
    »Wie waren eigentlich deine Mahlzeiten in Amerika – auch so lebhaft?«
    »Ich hab meistens alleine gegessen. Manchmal zu zweit.«
    »Dazu später mehr. Ihr Lieben, ich hab Mutter gesagt fünf Uhr. Mit dem Feuer wisst ihr Bescheid: Nur wenn ein Erwachsener dabei ist, okay? Kriegt eure Mama noch einen Kuss, bevor sie fährt?«
    Nach dem Kaffeetrinken schieben Felix und Florian ihre Dreiräder über den Rasen, und Hartmut bekommt von seinem Schwager eine Führung durch das Haus. Der neue Anbau ist innen fertiger, als es von außen den Anschein hat; das frisch verlegte Parkett im Wohnzimmer glänzt unter schützenden Plastikplanen, und eine breite Fensterfront geht auf den Schlossberg und das Bergenstädter Tal.
    Stolz zeigt Heiner auf den schulterhohen Kachelofen.
    »Unser Prachtstück. Eigentlich zu teuer für unsere Geldbörse, aber da waren Ruth und ich uns einig, so viel Unvernunft muss sein. Bei den Laufzeiten ist es sowieso egal, ob wir den Kredit noch zwei oder drei Monate länger abbezahlen.« Er hält inne und zuckt mit den Schultern. »Eintausendzweihundert Mark jeden Monat, dreiundzwanzig Jahre lang. Letztes Jahr ging’s los, im Jahr Zweitausend werden wir schuldenfrei sein. Ich bin dann vierundfünfzig, Ruth neunundvierzig und die beiden Jungs ... Tja. Die Alternative wäre eine Mietwohnung ohne Garten oder ein zu kleines Haus.«
    Über eine knarzende Holztreppe steigen sie in den ersten Stock. Heiner berichtet von den Schwierigkeiten mit der Dämmung, und Hartmut denkt daran, wie er am

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