Fließendes Land (German Edition)
fremd. Lexikonkolonne, Netz. Fingerspitzenarbeit. Ich stieß auf das Wort »estiv«, sommerlich. »In einer neuen Sprache ist alles sommerlich.« Das ist im Deutschen vom Gedanken her schön, aber klanglich nicht überzeugend. Im Romanischen witterte ich eine Möglichkeit. Estra/estiv (fremd/sommerlich), da war eine klangliche Korrespondenz, die dem Gedanken entsprach. Nur rhythmisch stimmte es noch nicht. Ich gab »sommerlich« in die Suchmaske ein. Und fand eine zweite Form: »da stà.« Und so ging es. Nun brach ich den zweiteiligen Gedanken in zwei Zeilen und bekam:
In üna lingua estra
tuot es da stà
Das war nicht viel. Aber es war eine kleine Insel, die mir gefiel, im Meer der neuen Sprache. Sommerlich. Und nebenbei hatte ich suchend einige Wörter gelernt, die von nun an zu meinem aktiven Wortschatz gehörten. (Wenn ich noch nicht mit den Einheimischen spreche, dachte ich, spreche ich doch wenigstens mit ihrer Sprache.)
Manchmal stand nicht ein Gedanke, sondern ein romanisches Wort am Anfang. »Chadafö« heißt auf Vallader »Küche«, aber wörtlich wäre Chadafö »Haus des Feuers«. (Leta Semadeni hat einen Gedichtband »Poesias da chadafö«, Küchengedichte, genannt.) Von diesem Wort ausgehend, wollte ich Häuser für die anderen drei Elemente bauen. Und mich dann fragen, wer in ihnen wohnt. In der Küche wohnt die Katze und trinkt Milch. Im Haus des Wassers wohnt die Erinnerung. Im Haus der Luft die weiße Eule. Was aber wohnt im Haus der Erde? Der Tod vermutlich, dachte ich. Und dann wollte ich doch nicht nur dunkel enden. Ich tippte »Tod« und »Sterben« in die Suchmaske, fand aber nichts, was ich als Antwort der Sprache akzeptiert hätte. Ich dachte an das Wort »Verbrennen« und dann an »Feuer«. Vielleicht gelang ein Ringschluß. Also suchte ich in der lexikalischen Umgebung von »fö«, Feuer, dem ersten Haus und Element des Gedichts. Die Suchmaske brachte eine lange Liste, darin stand auch: »fö e flomma«, das hieß wie im Deutschen: Feuer und Flamme, begeistert sein. Aber im elektronischen Wörterbuch stand auch »fögl« und »föglia«, das Blatt Papier und das grünende Baumblatt. Jetzt war die Lösung klar; die Sprache hatte geantwortet. Ich änderte die Redewendung »fö e flomma« in »föglia e flomma« und hatte damit neben dem Brennen, der Begeisterung, auch das Verbrennen im Haus der Erde:
Interiurs
Chadafö
Chà da l’aua
Chà da l’ajer
Chà da terra
Per la giatta chi baiva lat
Per l’algordanza
Per la tschuetta alba
Per esser föglia e flomma
Und in mir wuchs eine kleine, boshafte Freude daran, daß Gedichte, die von romanischen Wörtern ausgingen, so gut wie nicht zu übersetzen waren. Ich hatte Häuser gebaut, die es nur auf Vallader gab.
Mich freuten Wortnähen, die das Deutsche nicht kannte. Das romanische Wort für »Haut« ist »pel« und das Wort für »Wort« ist »pled«. Es entstand ein Gedicht »Pel mumaint«. (Ich konnte hier ausnutzen, daß »für den«, im Romanischen »per il«, zusammengezogen wird zu »pel« und damit »Für den Moment« auch »Momentane Haut« war, augenblickhafte Sprachhaut.)
Pel mumaint
Pled per pled
crescha la pel
da la lingua
Eu sgrafl aint
eu scriv
eu disegn lasura
Nus ans spelain insembel
(Interlinear: Für den Moment – Momentane Haut//Wort für Wort/wächst die Haut/der Sprache//Ich ritze hinein/ich schreibe/ ich zeichne darauf// Wir häuten uns zusammen.)
Indem ich romanische Gedichte schrieb, tat ich etwas, was ich als Lehrerin schon lange unterrichtete: Kreatives Schreiben im Fremdsprachenerwerb.
Poesie ist nichts Kompliziertes, sondern etwas Elementares. Johann Georg Hamann nannte Poesie die »Muttersprache des menschlichen Geschlechts«. Unsere erste Welterfahrung ist der Uterus, also Rhythmus und Rauschen. Lange bevor wir rational verstehen, begreifen wir die Botschaft eines Wiegenlieds. Wir lernen Sprechen über Gedichte, über Lautmalereien. Und mögen die Sprachen dieser Welt sehr verschieden sein, der Herzschlag, das Atmen der Mütter weicht wenig voneinander ab. Das Summen zum Einschlafen, der Abzählreim, das lautlich unterstützte Schaukeln auf dem Schoß ist das globale Klangbild erster Sprachauffassung. In »Allerleirauh« hat Hans Magnus Enzensberger eine Sammlung von Kinderreimen vorgelegt. Oft sind sie mit Berührungsanleitungen verbunden, bei jedem »Sälzchen,/ Schmälzchen,/ Butterchen,/ Brötchen,/ Kribbelkrabbelkrötchen«, wird das Kind an Wange, Stirn, Kinn usw. angetippt.
Weitere Kostenlose Bücher