Fließendes Land (German Edition)
Forscherdrache Frodo und Forscherhund Timo einen zerbeulten Ball über den Strand und denken über die Zukunft nach. Der Horizont öffnet sich auf Berufsaussichten und (familiäre) Gemeinsamkeit: Diana baut für alle ein Haus, in dem sie zumindest in den Ferien zusammenkommen. Erfindend identifizierten sich die Schüler mit den entstehenden Figuren. Auffallend war, daß ihre Texte zunehmend länger, epischer wurden. Bei zwei öffentlichen Lesungen in St. Moritz und Chur haben sie ihren Roman mit viel Energie vorgestellt. Sie waren überzeugend. Und haben mich überzeugt, daß ich Handlung schreiben kann. In ihrem Klassenzimmer bin ich für immer aus den Räumen herausgekommen. Zum Abschied gaben sie mir – wie jedesmal – alle die Hand.
In üna lingua estra tuot es da stà – Vom Sprechenlernen durch Kreatives Schreiben
Zweieinhalb Jahre lebten wir schon in der romanischsprachigen Gemeinde im Unterengadin. Mein Sohn ging auf die Dorfschule und hatte die Sprache des Tals (Vallader) schnell gelernt. Der Unterricht findet in den ersten sechs Jahren in allen Fächern auf Romanisch statt; erst ab der vierten Klasse kommt Deutsch als Fremdsprache dazu. Auch mein Mann, der sprachbegabt ist, unterhielt sich bald mit den Nachbarn auf Vallader. Und spätestens als er Co-Trainer der Fußballjugend des Dorfes wurde, war ihm klar, daß er weder auf Hochdeutsch noch auf Schwäbisch eine Chance gehabt hätte. Manches muß in der Muttersprache klar sein.
Auch ich nahm Romanischunterricht und lernte ein wenig das Verstehen. Aber ich sprach nicht. Einmal hatten wir in Griechenland gelebt. Ich habe nicht gut Griechisch gelernt, aber im Alltag mußte ich mich doch auf Griechisch verständlich machen. Niemand kam mir in meiner Sprache entgegen. Hier im Dorf war das anders. Die Einheimischen wichen sofort auf Deutsch aus, wenn ich ihnen nicht auf Vallader antwortete. Sie waren höflich; deshalb lernte ich ihre Sprache nicht.
Nach zweieinhalb Jahren beschlich mich zunehmend Panik. Ich war eine Fremde im Dorf. Keine Bäuerin, keine Engadinerin. Das war klar. Aber ich wollte als Fremde schon ein wenig dazugehören. In der Fremdsprache Deutsch, das spürte ich, würde das kaum gelingen. Es gibt Gespräche, die zumindest ansatzweise auf Romanisch zu führen sind. Sprache ist auch Ritual und Geste.
Mir gefiel der Klang des Valladers, der Bilderreichtum. Ich hatte meine Nachbarn gern. Warum unterhielt ich mich nicht mit ihnen in ihrer Sprache? Ich wollte nicht radebrechen; ich hatte eine Scheu vor schlechtem Sprachniveau. Ich wußte, daß das Unsinn ist. Aber ich schaffte den Sprung nicht.
Dann hatte ich doppeltes Glück. Leta Semadeni, eine romanische Lyrikerin aus dem nahegelegenen Dorf Lavin, bat mich, das Manuskript ihrer neuen Gedichte anzusehen. Leta Semadeni schreibt auf Deutsch und auf Romanisch. Sie übersetzt nicht direkt von der einen in die andere Sprache, sondern schreibt gleichsam parallele Texte, die voneinander abweichen können. Aber erst wenn ihre Texte in beiden Sprachen da sind (manchmal zuerst auf Romanisch, manchmal zuerst auf Deutsch), ist für sie die Arbeit des Gedichts geleistet. So sind ihre Verse Doppelwesen, die immer noch mit dem anderen Sprachecho leben. Das faszinierte mich. In Gesprächen mit Leta Semadeni bereitete sich eine Idee vor. Und als mir meine Romanischlehrerin eines Tages ein leeres Heft in die Hand drückte und sagte, die »Uniun litteratura rumantscha« feiere ein Jubiläum; jeder könne in so ein Heft etwas hineinschreiben, -malen, -kleben, da war ein Damm gebrochen.
Ich begann, romanische Gedichte zu schreiben. Gedichte aus ersten Wörtern: Poesias dals prüms pleds. Mit dem Zeigefinger fuhr ich die Wortkolonnen im Lexikon nach. Ich blätterte in der Konjugationstabelle »Verbs Valladers«. Ich klickte im Netz das »Vocabulari vallader-tudais-ch, Deutsch-Vallader« an und tippte Wörter in die Suchmaske. Ich spielte. Ein Flirt begann, und die fremde schöne Sprache reagierte. Sie antwortete mit Wörtern auf meine Ideen.
»In einer fremden Sprache«, dachte ich, »ist alles neu.« Ich suchte die Vokabeln zusammen: »In üna lingua estra es tuot nouv.« Das war noch nicht gut. Es ist ja nicht nur neu, dachte ich, es ist auch nah, denn die Wörter sind noch fremd und deshalb intensiv. »In üna lingua estra es tuot strusch.« Das war auch nicht das, was ich erhofft hatte. Für »nah« wäre auch »ardaint« möglich. Damit wurde es nicht viel besser. Ich spielte mit dem Wort »estra«:
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