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Fließendes Land (German Edition)

Fließendes Land (German Edition)

Titel: Fließendes Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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komm, komm, und schon tobte es um ihre Kniekehlen. Ihre Kniekehlen waren schmal und braun. Und sie spürte in ihnen das dicke Haar des Hundes und manchmal auch seine Schnauze.
    Seither waren sie also zu zweit und hüteten ihre salzige Herde, die sich um sie drehte wie ein Wellenkleid. Vor diesen Bergwiesen möchte ich fromm werden, dachte sie. Und indem sie es dachte, war sie es wohl für einen honigblauen Augenblick.
    Die Angst war wie der Wind. Sie durchfuhr die Herde. Sie nahm einem den Atem. Das wußte sie gut und sie hielt ihr Gesicht in das Wehen und der Hund bellte. Sie sah, daß es ein schöner Hund war. Nein, kein Windspiel, auch nicht, wenn ihr das Wort gefiel. Es war natürlich ein Hirtenhund, ein Hütehund mit schwarzem Fell und safranfarbenen Augen. Ein wenig war sie stolz auf ihn. Es war gut, daß er bei ihr blieb.
    Sie fürchtete sich nicht. Sie sah hinunter in das Tal und hinüber zu den Bergen, es gab auch einen Gletscher. Ein weißes Auge im Fels. Dort lag schon Italien. Wir sind im Hochgebirge, sagte sie sich, wir sind eine Hirtin, eine Herde, ein Hund, und sie sah nach dem großen Hund, der um die Schafe rannte wie im Schwindel und in den Eiswind bellte.
    Sie teilten sich Brot und Milch. Sie zogen weiter.
    Manchmal kam der Hund von weither, und sie roch das Blut am Maul des Tieres. Sie faßte in ihre Kniekehlen. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, dachte sie.

IV Fluchten

Amsterdam, Herengracht 401
    Ein Besuch bei Gisèle van Waterschoot van der Gracht und dem Castrum Peregrini
    An welchem Ende soll diese Geschichte beginnen? Beim Urgroßvater Joseph von Hammer-Purgstall, dem von Goethe verehrten und in den »Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan« verewigten Hafis-Übersetzer, bei seinem Wasserschloß Hainfeld in der Steiermark an der Grenze zu Ungarn, dessen eisernes Tor eine Tafel mit arabischen Schriftzeichen krönt? In seiner Bibliothek kopierte die zehnjährige Gisèle, geboren 1912 in Den Haag, aufgewachsen in Oklahoma, während eines einjährigen Familienaufenthalts Balladen von Walter Scott – zwar lagen dem Mädchen nur die Original-Handschriften vor, aber immerhin in einer Sprache, die Gisèle verstand. Sie half beim Archivieren und Ordnen der Bücher, lief Schlittschuh auf dem gefrorenen Burggraben, spielte Verstecken in den Himmelbetten, die ein geheimer Raum im Raum waren, und haßte das abendliche Sauerkraut, das Bedienstete mit weißen Handschuhen auf silbernen Tabletts präsentierten.
    Meals were announced by a gong. From all quarters
    We proceeded to the Speisezimmer,
    My parents and two generations of uncles and aunts.
    Uncle Ottokar wore twisted moustaches,
    Aunt Fini a mysterious wig,
    Aunt Helene brandished a tortoise lorgnette.
    Oder wäre früher einzusetzen in ihrer Biographie, beim Vater W. A. J. M. van Waterschoot van der Gracht, einem angesehenen holländischen Geologen und Grubeningenieur, der seine Familie 1915 in den Wilden Westen brachte, wo er neue Ölfelder entdecken sollte? Hier wuchs die Kleine auf zwischen einem französischen Kindermädchen und Ponca-Indianern, Ballettunterricht und befiederten Ritualtänzen. Sie war die Jüngste unter drei älteren Brüdern, ein robustes Nesthäkchen, das mit den Eltern über die Kontinente sprang und überall zurechtzukommen schien.
    Oder wäre Paris der Beginn für ihr Portrait? Als der Vater die 18jährige fragte: Was möchtest Du machen, Du kannst doch nicht aufwachsen wie ein Blumenkohl? – da hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet: Malerin. Der Vater schickte sie an die Seine. Finanzielle Schwierigkeiten riefen sie nach drei Jahren bald nach Holland zurück, wo die Eltern mittlerweile wieder wohnten (die Brüder waren in Amerika geblieben). Sie begann eine Ausbildung als Glasmalerin in Limburg bei Joep Nicolas. Aber als auch der 1940 nach Amerika auswanderte, mochte sie die Eltern nicht allein lassen. Im nordholländischen Bergen, einer Künstlerkolonie, die im Krieg eine weniger gefährliche Adresse zu sein versprach, lernte sie bei dem holländischen Dichter Roland Holst den deutschen Dichter Wolfgang Frommel kennen. Wolfgang Frommel, Sohn eines Pfarrers, der sein Leben in die Nachfolge Stefan Georges stellte, sollte wie wohl kein anderer Mann das Leben Gisèles bestimmen.
    Oder hätte doch zunächst von der österreichischen Mutter Josephine von Hammer-Purgstall die Rede sein müssen, jener strengen Aristokratin mit dem schwarzen Samtband um den Hals, die über eine Cousine mit dem

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