Flinx
Flinx Schulter mit instinktiver Kraft gedrückt hatte, entspannte sich ebenfalls, bis er nur noch ganz locker anlag. Feine Nadeln schienen über Flinx Arm herunterzulaufen. Er ignorierte sie. Der Kopf des Tieres senkte sich, bis er dicht an Flinx Hals lag.
Die Schlange war eingeschlafen.
Flinx stand fast eine Ewigkeit lang da, obwohl es in Wirklichkeit höchstens halb so lange dauerte. Das seltsame Geschöpf, das die Nacht hervorgebracht hatte, schlief auf seiner Schulter. Sein kleiner Kopf ruhte in der Höhlung seines Schlüsselbeins und schien sich dort wohlzufühlen. Einmal fröstelte das Tier. Flinx wusste, dass es von seinem Körper keine Wärme beziehen konnte, da der Stoff des Slickermantels zwischen ihnen eine Isolierschicht bildete. Aber es war wohl besser, das arme Ding nach drinnen zu bringen, dachte er, als ihm plötzlich bewusst wurde, wie lange er jetzt schon im Regen stand. Sein neuer Gefährte brauchte Ruhe und Wärme. Woher er das wusste, hätte er nicht erklären können; aber er wusste es ebenso klar, wie er seine eigene Erschöpfung erkannte.
Bezüglich der Zukunft der Schlange hatte Flinx keinen Augenblick lang Zweifel. Ihre Anwesenheit auf seiner Schulter wie auch in seinem Bewusstsein war für ihn zu natürlich, als dass er hätte in Betracht ziehen können, sich von ihr zu trennen - es sei denn natürlich, irgendein Besitzer wäre in Erscheinung getreten, um Anspruch auf sie zu erheben. Dies war ganz offenkundig kein wildes Tier. Im übrigen war Flinx sehr belesen, und wenn dieses Geschöpf ein Eingeborener Drallars sein sollte, so war ihm das neu. Er hatte bisher noch nie von einem solchen Tier gehört oder eines gesehen. Wenn es irgendein wertvolles Haustier war, dann würde sein Besitzer sich sicher bald melden. Für den Augenblick jedoch war die Schlange ebenso eindeutig eine Waise wie Flinx selbst das einmal gewesen war. Flinx hatte in seinem eigenen Leben zuviel Leid erdulden müssen, um es bei irgendeinem anderen Lebewesen zu ignorieren, selbst einer armseligen Schlange. Eine Weile war sie seiner Obhut übergeben, sein Mündel sozusagen, so wie er das Mündel Mutter Mastiffs war.
Sie hatte an jenem ersten Tag, der so weit zurücklag, seinen Namen wissen wollen. »Wie soll ich dich nennen?« fragte er sich laut. Die schlafende Schlange antwortete nicht.
Flinx waren in Gestalt der Bibliothekschips, die er vom Zentralen Erziehungswesen mietete, Tausende von Büchern zugänglich. Er hatte nur vergleichsweise wenige gelesen, aber darunter auch eines, mit dem er sich in besonderem Maße identifiziert hatte. Es stammte aus der Zeit vor dem Commonwealth - sogar vor der Zivilisation - aber das hatte die Wirkung nicht verringert, die das Buch auf ihn gehabt hatte. Diese Leute mit den komischen Namen; einer von ihnen hatte - wie? ja, ›Pip‹, erinnerte er sich - geheißen. Er blickte wieder auf die schlafende Schlange. Das wird dein Name sein, sofern wir nicht eines Tages einen anderen erfahren.
Als er sich auf den Weg zurück zum Laden machte, versuchte er sich einzureden, dass er sich über jenes sprichwörtliche ›eines Tages‹ Sorgen machen würde, falls und wenn es je dazu kommen sollte. Dabei machte er sich jetzt schon Sorgen, weil das kleine Geschöpf, obwohl er kaum eine Stunde mit ihm Kontakt gehabt hatte, schon Teil seiner selbst zu sein schien. Der Gedanke, die Schlange irgendeinem gleichgültigen Besitzer von Außerplanet zurückgeben zu müssen, war für ihn plötzlich mehr, als er ertragen konnte. Er konnte sich seit seiner frühesten Jugend nicht daran erinnern, sich jemals so zu einem anderen lebenden Geschöpf hingezogen gefühlt zu haben. Nicht einmal Mutter Mastiff nahm einen so wichtigen Platz in seinen Gefühlen ein.
Gefühle. Dieses Geschöpf, dieses Schlangending, verstand, was er fühlte, verstand, was es bedeutete, wenn die Emotionen von Fremden unverlangt in das eigene Bewusstsein hineinströmten, das eigene Leben unterbrachen und jeden wachen Augenblick zu einer potentiellen Abnormalität machten. Das war es, was diese Schlange so besonders machte. Er wusste es, und die Schlange wusste es auch. Sie waren nicht länger Individuen. Sie waren zwei Teile eines größeren Ganzen geworden.
Ich werde dich nicht aufgeben, entschied er in diesem Augenblick im kalten Morgenregen, nicht einmal dann, wenn irgendein reicher Außenweltler auftaucht und Anspruch auf dich erhebt. Du gehörst zu mir. Und die Schlange döste weiter, scheinbar ohne zu ahnen, welche
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