Flinx
Entscheidungen der Mensch vielleicht treffen würde.
Die Straße vor dem Laden war noch verlassen. Das Schloss öffnete sich auf seinen Handdruck, und er schlüpfte hinein, froh, das Wetter hinter sich lassen zu können. Sorgfältig schloss er die Tür wieder ab und ging an den Essplatz zurück, wo immer noch weich das Glühlicht leuchtete. Mit beiden Händen wand er die Schlange auseinander. Sie leistete keinen Widerstand, als er sie von der Schulter nahm. Aus dem Schlafzimmer zu seiner Rechten war Mutter Mastiffs gleichmäßiges Schnarchen zu hören, ein Dröhnen, das wie ein Echo auf den trommelnden Regen wirkte, der auf das Dach herniederging.
Sanft setzte er die Schlange auf dem Tisch ab. Im helleren Licht der Glühleuchte konnte er jetzt zum erstenmal ihre wahren Farben sehen. Auf dem Rücken des Schlangenkörpers war ein helles Muster mit rosafarbenen und blauen Flecken zu erkennen, das zu den gefalteten Flügeln passte. Der Unterleib leuchtete in einem stumpfen Goldton und der Kopf smaragdgrün.
»Wunderschön«, murmelte er der Schlange zu. »Wirklich einmalig.«
Die Augen des Geschöpfes - nein, verbesserte er sich, Pips Augen - öffneten sich im trägen Halbschlaf. Sie schien ihm zuzulächeln. Geistige Projektion, dachte Flinx, während er aus seinem Slicker schlüpfte und ihn an den Haken hängte.
»So, wo soll ich dich jetzt hintun?« flüsterte er sich selbst zu, während er sich in dem kleinen Wohnraum umsah. Der Laden draußen kam nicht in Frage. Mutter Mastiff hatte ganz sicher Kunden, die Angst vor Schlangen hatten, und die würden auf Pips Anwesenheit sicher unfreundlich reagieren - außerdem war der Laden nicht geheizt. Ebenso rechnete er auch nicht damit, dass Mutter Mastiff sehr viel Verständnis haben würde, wenn die Schlange sie verspielt aus einem der Küchenschränke ansprang, während sie eine Mahlzeit zubereitete.
Sein eigener Raum war spartanisch: es gab dort nur den kleinen Computerterminal, den Kleiderschrank, den er sich selbst gebaut hatte, und das Bett. Davon kam nur der Kleiderschrank in Frage. Er trug die Schlange in sein Zimmer und setzte sie auf das Fußende des Bettes. Dann machte er auf dem Boden des Schrankes einen Haufen aus schmutziger Kleidung. Pip sah ganz sauber aus; die meisten Schuppengeschöpfe pflegten Schmutz abzusondern, nicht zu sammeln. Er hob die Schlange auf und setzte sie vorsichtig in die Kleider, darauf bedacht, die zarten Flügel nicht zu verletzen. Sie ringelte sich sofort ein und schien mit ihrem Bett zufrieden zu sein. Flinx lächelte. Er lächelte nicht oft.
»So, da wirst du jetzt bleiben, Pip«, flüsterte er. »Und morgen werden wir sehen, ob wir für dich irgendwo etwas zu essen finden.« Er betrachtete die Schlange einige Minuten lang, ehe sich wieder die Müdigkeit einstellte. Gähnend schob er die eigenen Kleider vom Bett, stellte die Stiefel auf die Trockenmatte und kletterte ins Bett zurück. Ein paar Tröpfchen Wasser waren unter dem Rand seines Slickers durchgekrochen. Er wischte sie sich aus dem Haar, seufzte tief und sank in wohligen, ungestörten Schlaf.
Als der geistige Energiefluss des Menschen im Bett sich geglättet hatte, und die Schlange sicher war, dass ihr neuer Symbiont nicht gleich in eine beunruhigende REM-Periode* treten würde, rollte sie sich leise auseinander und glitt aus dem Schrank. Lautlos arbeitete sie sich an einem der Bettbeine nach oben und kam schließlich neben dem zerdrückten Kissen heraus.
* REM = Rapid Movement = Schnelle Augenbewegung, Kennzeichen von Traumaktivität. - Anm. d. Übers.
Dort ruhte das Tier lange und betrachtete den bewusstlosen Zweibeiner durch Augen mit doppelten Lidern. In sich fühlte die Schlange sich warm und behaglich. Der Hunger war immer noch vorhanden, aber sie hatte Andeutungen wahrgenommen, dass sie bald gefüttert werden würde.
Das Bett war sehr warm, sowohl die Thermodecke als auch die Masse des Symbionten, strahlten behagliche, trockene Hitze aus. Die Schlange glitt über das Kissen, bis sie am Hinterkopf des Menschen ruhte. Sie streckte sich einmal, ihre Flügel dehnten sich und falteten sich dann wieder ein. Dann ringelte sie sich in die kleine Höhlung, die sich zwischen dem Hals und der Schulter des Symbionten gebildet hatte. Bald entsprachen ihre eigenen Hirnwellen denen des Menschen, als sie in ihre eigene Art des Schlafs versank.
5. Kapitel
Mutter Mastiff achtete besorgt darauf, den Jungen nicht zu wecken, während sie sich langsam rückwärts wieder aus
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