Flirt mit der Unsterblichkeit
tadelnd, »was jetzt? Ich meine, das mit dem Eis ist ja jetzt vom Tisch, es sei denn, ihr wollt einen Nachschlag blindwütiger Gewalt.«
»Hier muss es doch noch was anderes geben«, sagte Michael. »Oder wollt ihr an dieser Tankstelle herumsitzen, bis Oliver endlich die Kurve kriegt?«
»Er hat gesagt, wir sollen hier auf ihn warten.«
»Also ich bin ganz Michaels Meinung«, erklärte Shane. »Ich steh auch nicht so drauf zu tun, was Oliver sagt, wisst ihr? Außerdem ist das unser Ausflug, nicht seiner. Er fährt nur mit. Ich will ihn ja nicht hier zurücklassen, nur eine kleine Runde drehen.«
»Du hast wohl tatsächlich Todessehnsucht.«
»Du wirst mich retten.« Er küsste Claire auf die Nase. »Mikey, du fährst.«
5
Durram, Texas, war eine kleine Stadt. So richtig klein. Kleiner als Morganville. Es umfasste etwa sechs Häuserblocks, die nicht direkt quadratisch angelegt waren, sondern eher in einem unordentlichen Oval. Das Dairy-Queen-Restaurant war geschlossen und dunkel, ebenso das Sonic-Drive-in. Es gab eine Art Bar, aber gegen diesen Vorschlag (der natürlich von Shane stammte) legte Michael sehr rasch ein Veto ein. Wenn sie schon wegen ein paar Eis in Schwierigkeiten gerieten, wäre die Bestellung eines Biers der sichere Untergang.
Claire fand das einleuchtend. Außerdem war sowieso keiner von ihnen alt genug, um eine Bar besuchen zu dürfen. Auch wenn sie irgendwie bezweifelte, dass die Leute in Durram Anstoß daran nehmen würden. Sie machten keinen übermäßig gesetzestreuen Eindruck. Durch die Straßen zu fahren, schien wie eine einzige große Zeitverschwendung. Es waren auch kaum andere Autos unterwegs und in den Häusern brannten nicht viele Lichter. Durram schien ein echt langweiliges, ödes Kaff zu sein. So ähnlich wie Morganville, aber dort gab es wenigstens einen guten Grund, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr draußen zu sein.
»Hey! Da!« Eve hopste auf dem Beifahrersitz herum und zeigte auf etwas. Claire kniff die Augen zusammen. Sie sah ein kleines, schwach beleuchtetes Schild, das vielleicht eine Eisreklame sein konnte. »Ich wusste doch, dass es in einer echten texanischen Kleinstadt auch abends irgendwo Eis gibt.«
»Seltsame Theorie.«
»Halt die Klappe, Shane. Wie kannst du nur kein Eis wollen? Was ist los mit dir?«
»Ich bin wohl ohne das Eis-Gen geboren. Gott sei Dank.«
Michael hielt vor dem einsamen kleinen Eiscafe. Als er den Motor abschaltete, herrschte bedrückende Stille. Abgesehen vom Knarren der Straßenschilder im Wind war in Durram, Texas, kaum ein Geräusch zu hören. Eve schien das nichts auszumachen. Sie sprang praktisch aus dem Wagen und stürzte zur Tür des Cafés. Michael folgte ihr und ließ Claire und Shane auf dem Rücksitz zurück.
»Das läuft alles ganz und gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte«, sagte Claire seufzend.
Shane nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. »Wie hast du es dir denn vorgestellt?«
»Ich weiß nicht. Irgendwie dachte ich, wir wären vernünftiger.«
»Aber du warst im letzten Jahr schon dabei, oder? »›Vernünftig‹ ist für uns ein Fremdwort.« Er nickte mit dem Kopf in Richtung Eiscafe. »Also? Möchtest du was?«
»Ja.« Sie machte jedoch keine Anstalten auszusteigen.
»Was denn... oh.« Er klang nicht verärgert. Das Eis-Gen hatte er wohl wirklich nicht. Aber er hatte das Küss-Gen und brauchte nur einen winzigen Wink mit dem Zaunpfahl. Er beugte sich vor und strich leicht mit seinen Lippen über ihre, dann übte er sanften Druck aus, dann mehr. Er hatte so wunderbare Lippen. Claire fühlte sich, als ob sie innerlich in Flammen aufging. Außerdem schien es, als würde die Schwerkraft plötzlich größer, sodass sie, von ganz allein, seitlich auf die Rückbank sank und ihn mit sich zog.
Vielleicht wären sie dann wirklich noch weiter gegangen, wenn sie nicht plötzlich ein lautes, metallisches Klopfen am Fenster gehört hätten. Licht schien herein und blendete sie. Claire schrie auf und schlug um sich, dann schob sie Shane von sich weg, der sich ebenfalls hektisch aufrappelte.
Draußen stand ein Mann in einem braunen Hemd, einer Hose, einem großen Texanerhut... Es dauerte einen Moment bis Claire den schimmernden Stern auf seinem Hemd entdeckte.
Oh. Oh, shit.
Der Sheriff.
Erneut klopfte er mit seiner Taschenlampe gegen das Fenster, dann blendete er sie wieder. Claire kniff die Augen zusammen und kurbelte das Fenster herunter. Sie leckte sich über die Lippen und schmeckte Shane.
Weitere Kostenlose Bücher