Flirtverdacht Roman
solltest du mit deiner Mutter reden.«
»Ich gehe hier nicht weg, bis Sie mir versprechen, dass Sie meinen Fall übernehmen«, murrte sie und ließ sich wieder auf einen der Stühle im Wartebereich nieder.
Ich hob die Augenbrauen. »Und was passiert, wenn du zum Abendessen nicht zu Hause bist? Macht sich deine Mutter dann keine Sorgen?«
Lexi schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust, um ihren Standpunkt klarzumachen. Als würde sie für die Rechte der Schwulen oder dergleichen protestieren.
Ich seufzte nur und ging wieder in Richtung meines Büros. Eines hatte ich von Hannah, meiner vierzehnjährigen Nichte, über Jugendliche in diesem Alter gelernt: Glücklicherweise verlieren sie immer sehr schnell das Interesse an einer Sache. Daher rechnete ich fest damit, dass Lexi mittags verschwunden sein würde.
Allerdings hätte ich nie damit gerechnet – und es auch in tausend Jahren nicht vorhergesehen trotz meiner Neigung zu Prophezeiungen –, dass um Viertel nach zwei am Nachmittag mein Handy klingeln und Jamies Name auf dem Display erscheinen würde.
Mit dem Telefon in der Hand starrte ich gut fünf Sekunden hilflos auf das Display, weil ich nicht wusste, ob ich rangehen oder auf die Mobilbox warten sollte.
Ich hatte bereits entschieden, dass ich über Jamie hinwegkommen würde. Das war beschlossene Sache. Trotzdem interessierte es mich brennend, wieso er anrief. Was, wenn er sich entschuldigen wollte? Was, wenn er fand, er habe überreagiert, und sich wieder mit mir versöhnen wollte? Wie sollte ich darauf reagieren? Würde ich das überhaupt wollen ?
Schließlich gewann meine Neugier die Oberhand, und ich beschloss, den Anruf entgegenzunehmen. Doch als ich mich endlich dazu entschieden hatte, war das Klingeln bereits wieder verstummt. Kurz darauf ertönte der Ton, der mich auf eine Sprachnachricht hinwies, und sofort drückte ich auf die Taste »Abhören«.
Die Computerstimme leitete die Nachricht wie üblich ein. Uhrzeit, Datum, usw., und dann war Jamies Stimme zu hören. Als Erstes versuchte ich, seinen Tonfall einzuordnen. »Zögernd« war das einzige Wort, das mir passend schien.
»Hallo, äh, ich bin’s … Jamie. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute Nachmittag mal kurz in deine Wohnung wollte. Vielleicht so gegen vier.«
Mein Herz schlug schneller, und mein tödlicher Griff um das Telefon wurde so fest, bis ich befürchtete, meine Finger würden gleich anfangen zu bluten. Ich drückte es noch dichter ans Ohr, während ich mühsam Luft holte.
Jamies zögernde Nachricht ging noch weiter. »Ich hab da noch ein paar Sachen. Etwas Kleidung im Schrank, und, äh, ein paar Dinge im Bad. Ich dachte, es wäre besser, wenn ich die abhole, während du im Büro bist. Falls das ein Problem ist, sag mir bitte Bescheid. Ansonsten gehe ich davon aus, dass du einverstanden bist. Oh, und ich lasse den Schlüssel da, wenn ich gehe. Okay, dann also … tschüss.« Eine unbehagliche Pause folgte, dann fügte er noch hinzu: »Pass gut auf dich auf«, als ob das »dann also … tschüss« noch nicht schmerzlich genug gewesen wäre. Dann klickte es in der Leitung.
Tja, das beantwortete wohl die Frage, ob er sich wieder mit mir versöhnen wollte oder nicht.
Wenn man über ein Jahr mit jemandem zusammen ist, gelangen ganz von selbst Dinge, die dem anderen gehören, in die eigene Wohnung – meistens, ohne dass man es überhaupt wahrnimmt. Eine DVD oben auf dem Fernseher, ein paar Bücher im Regal, Kaffeetassen im Küchenschrank. Diese Dinge wirken weder fremd noch fehl am Platz, sie passen sich auf natürliche Weise der Umgebung an, gliedern sich ein, bis man vergisst, wem sie ursprünglich mal gehört haben.
Deshalb konnte ich mir nicht einmal vorstellen , welche Sachen er meinte. Nachdem die Kisten aus dem Flur und seine Kleidung aus meinem Schrank verschwunden waren, fiel mir eigentlich nichts mehr ein, das nur ihm gehörte. Und doch war ich mir sicher: Sobald ich heute Abend durch die Tür tat, würde das Fehlen dieser Dinge unübersehbar sein wie ein Scheinwerfer in einem dunklen Raum, würde mein Blick immer wieder auf die leeren Stellen fallen, die einst die Beweise dafür beherbergt hatten, dass ich Teil eines Paars war. Und die gähnende Leere an diesen Stellen würde sich nicht verleugnen lassen, sondern mich zu dem Eingeständnis zwingen, dass ich das, was mir fehlte, niemals würde ersetzen können.
Ich hörte, wie die Computerstimme im Telefon fragte, was ich mit der Nachricht tun wollte.
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