Flirtverdacht Roman
letztlich nur ich die Entscheidung darüber fällen, ob harmlos wirklich die richtige Bezeichnung war.
Ich zog mit dem schwarzen Eyeliner den Rand meines Unterlids nach und frischte die Wimperntusche auf. Heute trug ich ein rauchgraues trägerloses Kleid, das mir bis knapp über die Knie reichte, und schwarze Riemchensandalen von Manolo.
Ich richtete die Haarklammern, die meine komplizierte Hochsteckfrisur hielten, nahm nach einem letzten Blick in den Spiegel meinen Zimmerschlüssel und meine Handtasche und verließ das Zimmer.
Zuversichtlich und voller Selbstvertrauen ging ich den Korridor zum Aufzug hinunter. Meine Beine glitten unter mir gleichmäßig dahin, als wüssten sie von selbst, wohin es ging, was zu tun war, wann sie sich kokett übereinanderlegen mussten. Heute war mein erster offizieller Auftrag als aus dem Ruhestand zurückgekehrte, ungebundene Vollzeit-Treuetesterin. Doch mein Körper bewegte sich zu zielstrebig und mein Geist war so wach und zielgerichtet, als hätte ich nie pausiert.
Als sich die Tür zum Fahrstuhl öffnete und ich einstieg, überkam mich ein altbekanntes Gefühl. Als käme ich auf eine Bühne, um eine Rolle zu spielen, für die ich bezahlt wurde. Eine Rolle, die ganz speziell für Dustin Garrett konzipiert worden war.
Heute Abend war ich nicht mehr Jennifer Hunter, sondern würde mich nur als Ashlyn ausgeben, eine gestresste Vorstandssekretärin, die mit ihrem Boss geschäftlich unterwegs war und bei einem starken Martini ein paar Stunden ausspannen wollte.
Alles kam mir so selbstverständlich vor. Geradezu instinktiv.
Als ich aus dem Aufzug in die Lounge kam, sah ich mich nach einer Gruppe Männer Anfang vierzig um, die so wirkten, als würden sie sich ein Wochenende Erholung von ihren Frauen … ich meine, vom Alltag gönnen. Lexi hatte mir ein Foto ihres Vaters gemailt, doch bezüglich der anderen Männer auf dieser Tour tappte ich völlig im Dunkeln.
Da ich sie nicht sofort entdeckte, beschloss ich, mich an die Bar zu setzen. Von dort aus ließ sich der Raum leichter und unauffälliger beobachten. Lexi hatte geschworen, sie hätte ihren Vater am Telefon sagen hören, er hätte für acht Uhr einen Tisch zum Abendessen reserviert und wolle vorher noch auf einen Drink in die Bar. Ich warf einen Blick auf die Uhr: schon fast halb acht. Allerdings stammten all meine Angaben von jemandem, deren Generation ihre Informationen in erster Linie über Facebook bezog. Also würde ich bis acht Uhr warten, bevor ich mir eine neue Strategie überlegte.
Die Bar war recht gut besucht. Nachdem ich mir einen Martini bestellt hatte, schwang ich mich auf dem Hocker herum, damit ich die Gäste besser unter die Lupe nehmen konnte. Ich trank einen Schluck, obwohl ich wusste, dass ich mich zurückhalten sollte, wenn ich den ganzen Abend lang bei einem Trinkgelage mit Golfkumpels im besten Alter mithalten wollte. Vermutlich sollte ich allmählich daran arbeiten, meine Trinkfestigkeit wieder zu steigern.
Ich nahm der Reihe nach alle Tische in der Bar ins Visier, nummerierte sie in Gedanken von links nach rechts durch und prägte mir einige Besonderheiten ein. Dieses Spiel hatte ich immer gespielt, wenn ich darauf wartete, dass ein Testobjekt auftauchte.
Tisch 1: Verheiratetes Paar mittleren Alters. Hat vermutlich etwas zu feiern. Vielleicht den fünfzehnten oder zwanzigsten Hochzeitstag.
Tisch 2: Zwei junge Männer Ende zwanzig. Einer hetero, der andere tut nur so. Der Typ rechts hat keine Ahnung, dass sein Freund schwul ist. Und er hat auch keinen blassen Schimmer, dass sein Kumpel alles tun würde, um ihm näherzukommen.
Tisch 3: Frauenabend. Insgesamt sechs. Vermutlich ein Junggesellinnenabschied. Ohne deutliche Hinweise wie Brautschleier oder andere leicht erkennbare Brautindizien. Allerdings nicht mit Sicherheit zu sagen.
Tisch 4: Mann Anfang vierzig mit peinlich viel jünger (aussehender) Frau. Da sie mit dem Rücken zu mir sitzt, kann ich das genaue Alter nur raten. Doch anhand von Frisur (lange, blonde Haare), Kleidung (eng und pink) und Figur (schmal und gut gebaut) schätze ich sie auf Mitte bis Ende zwanzig.
Tisch 5: Ein gemütlicher Mutter-Tochter-Abend …
Einen Augenblick mal.
Plötzlich hielt ich inne und lenkte den Blick ein paar Zentimeter zurück zu Tisch 4. Ich sah an der Blondine im eng anliegenden pinkfarbenen Kleid vorbei und konzentrierte mich auf ihren Begleiter, musterte das graue Oberhemd, die schwarze Hose und das halbleere Weinglas vor ihm. Wieso kam er mir so
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