Flirtverdacht Roman
schnappte hörbar nach Luft, und schließlich hob ich den Kopf und sah ihn an. Ich merkte, wie er mit sich kämpfte. Das war ein Schlag, den er nicht erwartet hatte. Obwohl mein Vater für mich nie so ein offenes Buch gewesen war wie andere Männer, fiel es mir heute nicht besonders schwer, ihn zu durchschauen. Er machte sich Vorwürfe.
Aber ich wusste, dass mein Verhalten ganz allein in meiner Verantwortung lag, und ich war nicht gekommen, um ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben.
»Dad«, sagte ich sanft und legte ihm die Hand auf die Schulter, »das hat nichts mit dir zu tun.«
Er lächelte über meinen Versuch, aber ich konnte erkennen, dass er mir nicht glaubte. Und einen Augenblick lang, als ich ihm in die Augen sah, hätte ich schwören können, dass dort Tränen schimmerten. Doch er zwinkerte schnell, bevor ich mir sicher sein konnte.
»Willst du mir davon erzählen?«, fragte er schließlich.
Ich nickte. Ich wollte ihm davon erzählen. Ich wollte ihm alles erzählen. Aber ich wusste nicht genau, wie viel er hören wollte. Wie viel er bereit war zu hören.
»Alles?«, fragte ich leise mit erstickter Stimme.
»Ja«, bestätigte er entschieden. »Alles.«
Also holte ich tief Luft und fing ganz am Anfang an. Mit dem Augenblick, an dem ich ihn zum ersten Mal dabei erwischt hatte, wie er meine Mutter betrog. Dem Augenblick, von dem ich immer geglaubt hatte, dass er mich und jede Entscheidung, die ich seitdem getroffen habe, geprägt hat. Von diesem Abend hatte ich noch niemals jemandem erzählt. Nicht meiner Mutter, nicht meinen Freunden, noch nicht einmal Jamie. Und erst recht nicht meinem Vater.
Ich beobachtete ihn aufmerksam, während ich sprach; sein Gesicht blieb reglos, doch seine Augen verrieten ihn. Sie zeigten Reue. Und obwohl das nicht der Grund war, wieso ich ihm davon erzählte, tat es dennoch gut, dass er so reagierte.
Doch ich hatte noch mehr zu sagen. Als ich auf meine Entscheidung zu sprechen kam, Treuetesterin zu werden, veränderte sich seine Miene. Er sagte nichts, aber ich begriff sofort, dass er mich verstand. Und dass er mir keine Vorwürfe für meinen Lebensweg machte. Für das, was aus mir geworden war. Ein kleines bisschen machte er wohl sich selbst Vorwürfe.
Ich sprach weiter. Redete, bis ich das bittere Ende erreicht hatte. Bis ich genau hier angekommen war, hier bei diesem Augenblick. Mit den Worten, die sich aus meinem Mund ergossen, kam die Erleichterung. Diese Geschichte hatte ich noch nie von Anfang bis Ende erzählt. Sondern immer nur kleine Häppchen hier und da, immer nur so viel, wie gerade nötig gewesen war, je nachdem, wer zuhörte und welche Rolle der Mensch in meinem Leben spielte.
Doch hier in dieser dunklen, leeren Lounge, als ich meinem Dad alles anvertraute, war mir klar, dass ich genau das brauchte.
Als ich endlich fertig war, atmete ich tief durch und wartete darauf, dass er etwas sagte. Ich wusste nicht, was er sagen würde – ich hatte wirklich keine Ahnung –, aber zum ersten Mal im Leben hatte ich keine Angst. Ich fürchtete mich nicht vor seiner Reaktion, anders als damals, als ich Jamie gebeichtet hatte, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiente, oder als ich es meinen Freunden offenbart hatte. Damals hatte ich Angst davor gehabt, wie ich vor ihnen dastehen würde. Angst, dass ich in ihren Augen für immer ein anderer Mensch sein würde.
Doch jetzt nicht. Hier nicht. Bei ihm nicht.
Ich fühlte mich sicher.
Mein Dad zog mich stumm in die Arme und hielt mich fest. Ich kuschelte mich an seine Brust und erlaubte mir, meine Verletzlichkeit zu fühlen. Ganz und gar.
Er schaukelte mich sanft hin und her, wie ein neugeborenes Baby. Und der Vergleich war gar nicht so weit hergeholt. Alles war gerade so neu.
Wie lange wir so dasaßen, weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht war ich sogar kurz eingeschlafen. Die Grenze zwischen Schlafen und Wachen war so verschwommen und unklar, dass es beinahe einerlei zu sein schien.
Als ich wieder zu mir kam und meine Umgebung wahrnahm, öffnete ich die Augen und erblickte die verlassene Bar. Die leeren Barhocker, die Weinflaschen auf dem Regal, die Kasse. Und da kam mir der Ort, an dem wir uns befanden, ziemlich merkwürdig vor. Wieso hatte sich mein Vater hier mit mir treffen wollen? Wollte er Simone nicht wecken? Aber dieses Hotel lag mindestens zwölf Kilometer von seinem Haus in Malibu entfernt. Bei unserem Telefonat hatte mich mein Kummer so abgelenkt, dass ich gar nicht über den Treffpunkt nachgedacht
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