Flitterwochen zu dritt
so enttäuscht, dass Julia nicht wusste, wo sie hinsehen sollte. “Ich vermute, dass du das jetzt nicht für wichtig hältst”, fügte sie leise hinzu.
“Hältst du das denn für wichtig, mein Engel?”
“Nein”, sagte Julia und fühlte sich, als wäre sie zehn. “Die Gesundheit des Babys ist alles, was jetzt zählt. Wirst du … mit mir ins Krankenhaus kommen, Amma?”
“Nein. Solange du bei ihm bist, braucht Ben mich nicht. Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern bis morgen früh hier bleiben. Ich möchte möglichst bald wissen, wie es meinem Urenkel geht. Und außerdem sehe ich nachts nicht mehr so gut und möchte nicht im Dunkeln fahren. Ich mache euch überhaupt keine Umstände, ich schlafe gern auf der Couch.”
Betroffen stellte Julia fest, wie dieser Abend ihre Großmutter mitgenommen hatte. Erschöpfung und Traurigkeit ließen sie so alt aussehen, wie sie war: wie neunundsiebzig. “Das tust du sicher nicht”, rief Julia und führte sie zur Treppe. “Nimm das Gästezimmer am Ende des Flurs, das zum Garten hinausgeht.
Das Bett ist schon gemacht, und im Bad findest du alles, was du brauchst.”
Bens Auto stand auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus, als Julia ankam, aber Ben war nirgendwo zu finden. “Das Carreras-Baby?” fragte die Krankenschwester, als Julia sich nach ihm erkundigte. “Oh, es wurde in die Kinderklinik in Vancouver verlegt.”
“Wegen einer Kolik?” Julia stockte der Atem vor Furcht.
“Warum konnte es nicht hier behandelt werden?”
“Wenn Sie nicht die Mutter sind, kann ich Ihnen leider keine weiteren Auskünfte geben, Ma’am.”
War sie die Mutter? Das war die Frage, die sie erst hatte beantworten wollen, wenn sie mit der emotionalen Belastung, die ihre Ehe gefährdete, klargekommen war. Nun musste sie sie sofort beantworten.
“Nicht direkt”, sagte Julia. “Es ist der Sohn meines Mannes, und ich … ich bin die Stiefmutter.”
Stiefmutter! Dabei hatte ihr die Stimme versagt. Was für ein gefühlloses Wort gegenüber so einem zarten, hilflosen Baby.
Die Krankenschwester griff nach einer Akte auf ihrem Tisch.
“Sein kleiner Bauch war sehr aufgebläht, und unsere Ärzte vermuten, dass er operiert werden muss. Sie wollten es nicht riskieren - wir haben hier für Kinder nicht die nötigen Einrichtungen -, und deswegen haben sie ihn in die Kinderklinik geflogen.”
“Geflogen?”
“Mit dem Hubschrauber. Sein Vater ist bei ihm. Sie sind vor einer halben Stunde losgeflogen.”
“Aber warum wird er geflogen, wenn man doch in weniger als einer Stunde mit dem Auto da ist! Ist es so ernst?” wollte sie wissen.
Die Krankenschwester sah sie mitleidig an. “Er ist noch sehr klein, Mrs. Carreras. Wir können bei Babys in dem Alter nicht einfach abwarten. Das könnte lebensgefährlich sein.”
“O nein!” Julia hielt die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Alle Tränen, die sie in der letzten Woche vergossen hatte, waren ein Tropfen im Ozean, verglichen mit der Verzweiflung und dem Entsetzen, die sie nun überkamen.
“Es tut mir Leid, Mrs. Carreras, ich wollte Sie nicht erschrecken. Wenn er operiert werden muss, dann ist er in der Kinderklinik in besten Händen, also versuchen Sie, sich keine Sorgen zu machen.” Die Krankenschwester kam auf sie zu und legte ihr den Arm um die Schultern. “Ich habe auch Kinder, und es ist natürlich leicht, einen solchen Rat zu geben, und unmöglich, ihn zu befolgen, das weiß ich.”
“Ich muss hinfahren”, flüsterte Julia, und der Schrecken überkam sie erneut. Wie kam es nur, dass auf jeden Schritt, den Ben und sie vorwärts machten, zwei Schritte zurück folgten?
8. KAPITEL
Julia fand Ben im Wartesaal der chirurgischen Abteilung im Kinderkrankenhaus. Er saß auf der Couch, mit gesenktem Kopf, und er sah so verzweifelt aus, dass ihr beinah das Herz stehen blieb.
“Ben?” Sie berührte ihn an der Schulter. “Weißt du schon was?”
“Nein.”
“Haben sie gesagt, wie lange …?”
“Nein.”
“Seit wann ist er da drin?”
“Seit einer Stunde … vierzig Minuten.” Er zuckte die Schultern. “Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.”
“Wissen sie, was mit ihm los ist?”
“Sie haben eine Vorstellung.”
“Und können sie es in Ordnung bringen?” Sie sehnte sich danach, ihn in den Arm zu nehmen, aber er hatte sich so in seine eigene, unglückliche Welt zurückgezogen, dass sie es nicht wagte. Stattdessen setzte sie sich neben ihm auf die Couch und bat ihn: “Sprich mit
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