Flöte und Schwert
er und legte es zu den anderen in die Schublade. Ihn schauderte beim Gedanken, dass er morgen damit wieder Speisen schneiden würde.
Leise, um Amre nicht zu wecken, kroch er unter die Decke. Er war so erschöpft, dass er wenig später einschlief.
Er träumte von Blut und toten, anklagenden Augen.
Am nächsten Tag zuckte Omar jedes Mal zusammen, wenn man ihn rief.
Die Soldaten!
S
ie wissen, was geschehen ist!
, durchfuhr es ihn, bevor er begriff, dass es nur Amre oder Hassan gewesen war. Der Ägypter bemerkte die Veränderung, die mit Omar vorging, und erkundigte sich beim Morgenbrot nach dessen Befinden. Omar antwortete ausweichend; er wagte nicht, sich Amre anzuvertrauen. Den ganzen Vormittag hielt er Ausschau nach Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass man die Leiche gefunden hatte. In den Gesprächsfetzen der Diener und Soldaten, die er im Vorbeigehen mithörte, war jedoch stets die Rede von alltäglichen Dingen. Das Leben in der Bergfestung ging seinen gewohnten Gang, und im Lauf des Tages beruhigte sich Omars Anspannung ein wenig.
Die Nacht brach herein. Omar wartete, bis Amre und Hassan eingeschlafen waren, dann traf er Vorbereitungen für einen weiteren Streifzug. Alles in ihm sträubte sich gegen eine Rückkehr zum Ort seiner Bluttat, aber er durfte keine Nacht ungenutzt lassen. Spätestens morgen würde man das Fehlen des Kriegers bemerken, und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Leiche gefunden wurde. Die Folgen konnte sich Omar ausrechnen: Verdopplung der Posten, erhöhte Wachsamkeit aller Bewohner. Niemand würde sich mehr unbemerkt durch die Festung bewegen können.
Wieder hatte Omar Feuerstein, Lampe und Messer bei sich. Er schlich über den Hof, drang ins Gesindehaus ein und ging hinunter in den Keller. An den Türen, die er gestern verschlossen vorgefunden hatte, versuchte er sich mit den Schlüsseln des Wächters. Alle drei passten. Die erste Tür öffnete sich in einen Raum; die Waffenkammer. Hinter der zweiten begann ein dunkler Gang, hinter der dritten eine Treppe, die steil nach unten führte. An ihrem Ende brannte Licht.
Der Weg durch die Dunkelheit erschien Omar am sichersten. Der Tunnel verlief geradeaus und beschrieb dann eine Kurve. In der Wand befand sich ein schräg abfallender Schacht. Omar hob die Lampe, um hineinzuleuchten – und schrak zurück. Hitze und ein scharfer Geruch schlugen ihm entgegen, und die Haare an seinen Armen richteten sich auf. Die Finsternis im Innern des Schachts war mehr als das Fehlen von Licht; sie war ölig, unrein. Lauernd. Er leckte sich über die Lippen. Welche dunklen Geheimnisse Al Tufail auch immer hüten mochte – eines befand sich gewiss am unteren Ende dieses Schachts.
Mit klopfendem Herzen ging Omar weiter. Hinter der Biegung endete der Gang. In einer Nische gähnte eine kreisrunde Öffnung; eiserne Stufen waren in die Wände des Lochs eingelassen worden. Als Omar hineinblickte, verspürte er wieder jenes Gefühl von Bedrohung und Verunreinigung, diesmal ungleich stärker. Sogar das Licht seiner Lampe schien schwächer zu werden. Von Furcht übermannt kehrte er um.
Er wartete, bis sich Herzschlag und Atem wieder beruhigt hatten, dann löschte er die Lampe und stieg die schmale Treppe hinunter. Unten begann ein von Fackeln beleuchteter Korridor. Aus einem Durchgang drangen Stimmen und das Klappern von Würfeln.
Omar hielt den Atem an. Es schienen zwei Männer zu sein. Er schlich einige Schritte in den Gang hinein und blieb kurz vor dem Durchgang stehen. Weiter hinten sah er weitere Durchgänge, alle vergittert. In der Zelle am Ende des Ganges kauerte eine Gestalt, das Gesicht in den Armen vergraben, die Haut von Peitschenhieben gezeichnet: Bahir. Omar wollte gerade kehrtmachen, als der Hüne den Kopf hob und ihn entdeckte. Bahirs Augen wurden klein, dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen, und er hob seine gewaltige Hand zum Gruß. Omar war vor Schreck und Verblüffung wie erstarrt. Hatte der Hüne noch immer nicht begriffen, dass er benutzt worden war? Omar führte den Zeigefinger an die Lippen, überlegte kurz und hielt dann die Schlüssel hoch. Bahirs Schweigen wertete er als Zeichen, dass dieser verstanden hatte. Er winkte dem Hünen zum Abschied und wandte sich ab.
Eine Schuld muss beglichen werden
, sagte er sich, während er zur Küche zurückkehrte.
Als Omar den Soldaten das Morgenbrot brachte, erfuhr er, dass man sich um einen fehlenden Krieger sorgte. Die meisten Männer glaubten, er sei bei der
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