Flöte und Schwert
versuchte, eine der Türen zu öffnen. Sie war verschlossen, ebenso die nächste und übernächste. Bei der vierten hatte er Erfolg. Ein aus dem Felsen gehauener Gang tat sich vor ihm auf. Amre hatte erzählt, dass der Berg, auf dem die Festung ruhte, von zahllosen Gängen durchzogen war, und es hieß, einige führten nach draußen, in die Freiheit ...
Omar nahm seinen Mut zusammen und ging den Korridor entlang. Er passierte weitere Räume, aber auch Abzweigungen. Er entschied sich stets für den geraden Weg, um die Orientierung nicht zu verlieren. Amre hatte nicht übertrieben: Der Keller war ein Labyrinth. Irgendwann verlor Omar jegliches Zeitgefühl. Wie lange war er schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei?
Als er einen schwachen Lichtschein sah, blieb er stehen.
Fackellicht
, vermutete er.
Und wo Fackeln brennen, sind auch Menschen.
Er blies seine Lampe aus und ging langsam auf das Licht zu. Es kam von einem schmalen Schacht, der in der Wand begann und schräg nach unten abfiel. Omar spähte hinein. Der Schacht mündete in eine beleuchtete Kammer. Irgendwo weit entfernt erklang ein Knallen, vielleicht eine Peitsche. Ein leiser Schmerzensschrei folgte.
Dann hörte er ein anderes Geräusch: Schritte. Und sie kamen näher!
Omar presste sich mit dem Rücken gegen die Wand und zwang sich, ruhig zu bleiben. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Verflucht, warum hatte er die Lampe gelöscht? Ohne Licht würde er bei einer Flucht Gefahr laufen, zu stürzen oder gegen eine Wand zu prallen.
Zwanzig, vielleicht dreißig Schritte entfernt war der Gang plötzlich erleuchtet. Ein Schemen bewegte sich im Lichtschein. Omars Gedanken rasten. Er erinnerte sich, an einem Durchgang vorbeigekommen zu sein, als er sich dem Schacht genähert hatte. So leise wie möglich ging er den Gang zurück, eine Hand immer an der Wand. Dann griffen seine Finger ins Leere. Die Abzweigung! Hastig schob er sich um die Ecke. Vielleicht würde der Schemen einfach an ihm vorbeigehen.
Dann stieß seine Schulter gegen rauen Stein. Die Abzweigung war nur eine Nische, keine Elle tief! Der Wachposten musste schon blind sein, um Omar nicht zu bemerken.
Er lugte um die Ecke. Der Krieger war noch zehn Schritte entfernt, höchstens. Bilder wirbelten Omar durch den Kopf. Er sah sich an einen Pfahl gebunden, Flammen brachen aus seinen Augen hervor ...
Seine Hand tastete zum Messer, zog es. Ihm wurde heiß, dann wieder kalt. Das Wams klebte feucht und klamm an seinem Oberkörper. Die Bilder in seinem Kopf wurden zu einem bunten, wirren Reigen.
Licht erfüllte den Gang. Die Schritte hallten von den Wänden wider. Omar sah eine Stiefelspitze, die Hand mit der Fackel, dann den ganzen Mann.
Wie ein Blitz schnellte er nach vorne, packte den Mann an den Haaren, zog das Messer durch. Eisen blitzte im Fackellicht, Blut sprudelte. Der Mann riss sich los und taumelte nach hinten. Er starrte Omar an, die Fackel entglitt seinen Fingern, und er brach ohne einen Laut zusammen. Ein letztes Mal öffnete er den Mund, dann wurden seine Augen stumpf. Der Schnitt in seiner Kehle klaffte wie ein aufgerissenes Maul.
Das Messer wurde so schwer, dass Omar es nicht mehr halten konnte. In seinen Ohren rauschte es. Er stützte sich gegen die Mauerkante, atmete schwer und erbrach sich.
Zusammengesunken kauerte er neben der Leiche. Er fror. Alle anderen Gefühle waren wie ausgelöscht.
Ich darf hier nicht bleiben
, dachte er irgendwann und zwang sich, aufzustehen.
Die Leiche musste verschwinden. Omar hob sie an den Schultern an. Dann fiel sein Blick auf die Pfütze aus Blut. Er zog der Leiche das Wams über den Kopf und wischte damit Blut und Erbrochenes auf. Einen Ring mit Schlüsseln, der am Gürtel hing, nahm er an sich.
Langsam zog er die Leiche von der Nische fort, den Gang entlang, bis er eine Vorratskammer erreichte. Sie enthielt Bottiche mit gepökeltem Fleisch. Omar wuchtete die Leiche in eines der Fässer, goss Salzlake darüber und bedeckte sie mit mehreren Schichten Fleisch. „Bitte vergib mir, Allah“, murmelte er, während er den hölzernen Deckel an seinen Platz schob. Dann verließ er den Keller.
Unbemerkt gelangte er zum Küchengebäude. Hassan war in seinem Sessel nach vorne gerutscht und schnarchte laut. Die Holzscheite im Ofen glommen noch. Omar warf das Wams des Kriegers in die Glut und schaute zu, bis es zu Asche verbrannt war. Seine blutbespritzten Kleider wusch er gründlich und breitete sie zum Trocknen auf dem Boden der Schlafzelle aus. Das Messer reinigte
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