Florentinerpakt
Nicht, dass
›Mama Marias‹ Küche das nicht brachte, aber er und Wilma hatten sich schon so
oft durch die Speisekarte von oben nach unten und wieder zurück gegessen, dass
dem Angebot bei aller Qualität einfach der Nimbus des ›Besonderen‹ fehlte.
Wie wäre es, wenn er seinen Freund Vinzenz anrief. Der war
Patron eines der ältesten und renommiertesten Luxusrestaurants der Stadt, der
weltberühmten ›Fünf Ulanen‹. Also, wenn er irgendwo auf die Schnelle was
wirklich Besonderes zu essen bekommen wollte, dann über Vinzenz Spross. Wie die
Sprossen, also das Gemüse.
Er hatte Glück und Vinzenz rasch am Apparat. Der hörte sich
das Problem an, lachte boshaft über das Dilemma seines Freundes und beruhigte
ihn, dass er schon was Rechtes herrichten lassen würde.
»Du hast Glück«, meinte er dann, »die Gwen ist noch da und
wartet, bis dein Essen so weit ist. Sie wird so etwa in einer halben,
dreiviertel Stunde bei dir sein.«
Who the hell was Gwen, dachte sich Palinski, dem der Name
absolut nichts sagte außer vielleicht die angloamerikanische Provenienz seiner
Trägerin. Und Vinzenz hatte so schnell aufgelegt, dass er ihn nicht mehr hatte
fragen können. Es war ja schließlich auch egal, er durfte nur nicht ein
anständiges Trinkgeld vergessen.
»Leute«, meinte er zu Axel und Florian, »ich muss jetzt
dringend weg, sonst riskiere ich einen Hinausschmiss durch Wilma. Lasst euch
etwas zum Essen von ›Mama Maria‹ bringen.« Und schon war er weg.
So schnell hatte Palinski die drei Stockwerke (ohne Aufzug)
wohl noch nie hinter sich gebracht. Schnaufend schleppte er sich in die Wohnung
und gleich darauf zu einem Fauteuil im Wohnzimmer. Nachdem sich seine Atmung
wieder normalisiert hatte, begann er rasch, den Tisch zu decken. Blumen gab es
leider keine, aber darüber würde Wilma sicher gnädig hinwegsehen.
Vorausgesetzt, alles andere stimmte.
Er wusste zwar nicht, welche Weine zum Essen passen würden.
Aber heute waren die diesbezüglichen Regeln ohnehin nicht mehr ganz so streng
wie früher. Vorsorglich öffnete er eine Flasche von dem erstklassigen
Franzosen, den ihm Freunde im Herbst mitgebracht hatten. Damit der zumindest
noch ein bisschen atmen konnte. Im Eiskasten waren zwei Bouteillen guten
Wachauers eingekühlt und eine Flasche Prosecco. Das musste reichen.
Jetzt noch schnell ein frisches Hemd angezogen, eine andere
Krawatte geknotet und das Ganze mit ein wenig Eau de Toilette abgerundet. Dem
herben, das Wilma so liebte, und die Welt war gerettet.
Im Schlafzimmer fand er dann den Brief.
»Jetzt habe ich ein für alle Mal genug von dir. Die ewigen
Vernachlässigungen, die gelegentlichen Versöhnungs- und lauwarmen
Beschwichtigungsversuche und dazu noch hin und wieder ein eklatanter
Vertrauensbruch, das gehört jetzt endgültig der Vergangenheit an. Ich verlasse
dich, und zwar für immer.
Wilma
P.S. Bitte gieße die Blumen jeden zweiten Tag
P.P.S. Ich weiß noch nicht, ob ich zum Familientreffen nach
Bozen kommen werde. Falls ja, dann aber sicher nicht wegen dir, du Mistkerl,
verdammter.«
Zwischen ›Vergangenheit‹ und ›an‹ sowie auf ›Bozen‹ schienen
Wassertropfen ihre Spuren auf dem Papier hinterlassen zu haben. Der flüchtige
Gedanke, dass es sich dabei um Tränen Wilmas handeln konnte, machte Palinski
ganz krank. Er hasste nichts mehr als Frauen, die weinten. Nein, das stimmte so
nicht, er hatte Angst vor ihnen.
Aber was sollte das Ganze eigentlich. Seine anfängliche
Betroffenheit machte langsam Zorn Platz. Was wollte sie eigentlich von ihm? Er
hatte nun einmal seinen Beruf, und für den mussten eben Opfer gebracht werden.
Vor allem von ihm, aber eben auch von allen anderen.
Und was spielte sie sich groß auf, nur weil er einmal ein
Abendessen vergessen hatte. Er hatte schon viele Dinge vergessen, wichtigere
als ein Abendessen, und sie hatte sich noch nie so aufgeführt. Waren das bei
Wilma etwa schon die einsetzenden Wechseljahre?
Na, seinetwegen konnte sie ihr Spielchen spielen, so lange
sie wollte. Er würde hart bleiben, nicht nachgeben. Nie.
Palinski fühlte sich schrecklich, hundeelend. Und er hatte
fürchterliche Angst vor der Vorstellung, Wilma würde nicht zu dem
weihnachtlichen Familientreffen in Südtirol kommen.
Während der harte Mann so dasaß, mit dem Schicksal haderte
und mit vereinzelten Tränen kämpfte, summte die Haussprechanlage.
Müde schleppte er sich zur Türe und meldete sich mit einem
rüden
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