Florentinerpakt
anderer als
Harry, sein kleiner, pickeliger Sohn, der im September zum Studium nach
Konstanz gefahren war und den er seither nicht gesehen hatte.
»Harry«, rief er, lief die letzten Schritte bis zum Tisch und
umarmte seinen inzwischen um einen halben Kopf größeren Buben. »Wie schön. Was
machst denn du schon hier? Wir haben dich erst für morgen erwartet.«
»Das war meine Überraschung für dich.« Wilma war aufgestanden
und hatte sich zu Palinski gesellt. »Harry hat gestern angerufen und
angekündigt, dass er schon heute kommt.« Sie lehnte sich gegen Mario. »Na, ist
das nicht schön? Habe ich mir da nicht auch einen Willkommenskuss verdient?«
Die verspielte Provokation war gar nicht notwendig gewesen,
denn Palinski hatte Wilma schon in die Arme genommen und war nach langer Zeit
wieder einmal ziemlich glücklich. Und morgen würde auch noch Tina aus Paris
zurückkommen, dann war die Familie wieder einmal vollständig.
Inzwischen hatte Helmut Wallner eine Pause in seiner Tour d’
Honneurs eingelegt und sich zu seiner Frau gesetzt. »Für morgen ist übrigens
alles klar. Es stehen zwei Beobachtungsteams zur Verfügung, die den Transport
des Koffers verfolgen. ›Fink‹ Brandtner und ich werden bei den Teams sein, und
du«, er blickte zu Mario, »wirst ein Auge auf unsere beiden Schützlinge Garber
und Rossbach haben. Und dann hoffen wir, dass der ganze Zauber bis Mittag
vorüber sein wird. Geht das so in Ordnung?«
Alle Beteiligten nickten und wandten sich wieder ihren
Gläsern zu.
Margit Waismeier hatte das Stichwort aufgenommen. »Sagen Sie,
›Fink‹, ich darf doch ›Fink‹ sagen?« Nachdem der freudig mit dem Kopf genickt
hatte, fuhr sie fort. »Also ›Fink‹, ich frage mich schon die ganze Zeit, wie
Ihr richtiger Vorname lautet?«
So viel Interesse an seiner Person verwirrte Brandtner dann
doch ein wenig, und er druckste mit der Antwort herum. »Den kennt fast
niemand«, quetschte er schließlich heraus. »Er ist auch ein wenig seltsam, ich
mag ihn eigentlich nicht.«
Margit sagte kein Wort, blickte den Kriminalbeamten aber
weiter neugierig an.
»Sie geben wohl keine Ruhe, bis ich Ihnen mein kleines
Geheimnis anvertraut habe?« Jetzt lachte ›Fink‹ verlegen. »Also gut, ich heiße
in Wirklichkeit so wie ein Vogel. Eine Möwe, das heißt, eigentlich hat ein Buch
über eine Möwe meine Mutter zu meinem Vornamen inspiriert.« Er zuckte mit den Achseln.
»Sie wissen ja, wie Mütter oft so sind.«
»Sie heißen doch nicht gar Jonathan?«, strahlte Margit. »Mein
Gott, wie schön. ›Die Möwe Jonathan‹, wie ich dieses Buch liebe.« Sie lachte
ihn an, und für Jonathan war es das schönste Lachen der Welt. »Sie meinen, der
Name gefällt Ihnen wirklich?«
»Ich schwöre es Ihnen, Jonathan. ›Die Möwe Jonathan‹, na, so
etwas«, ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Wenn Sie wollen, können Sie Margit
und du zu mir sagen, Jonathan.«
Palinski fand, dass das alles recht gut und in seinem Sinne
lief.
*
Kurz nach 22 Uhr betraten ein Polizist und
seine weibliche Kollegin den Heurigen ›Wurzbacher‹ in Grinzing. Beide begrüßten
die am Eingang auf den Minister wartenden Kollegen eher salopp und wollten
schon weitergehen, als ihnen der Chef der ministeriellen Eskorte etwas zurief.
»Wie bitte?«, meinte Winnie gespannt und bereit, jederzeit
die Flucht zu ergreifen.
»Ich habe nur gemeint, dass ihr eure neuen Uniformen wohl
noch nicht ausgefasst habt«, grinste der Hauptmann gutmütig. »So in Grün unter
lauter Blauen, das muss ein komisches Gefühl sein.«
»Ja, ja, aber man gewöhnt thich daran.« Schade, dachte
Winnie, um ein Haar wäre ihm ein Satz ohne ›th‹ gelungen.
»Du Trottel«, flüsterte ihm Tatjana jetzt ins Ohr, »wieso
hast du nicht daran gedacht, dass die Polizei neue Uniformen bekommen hat. Wir
fallen hier auf wie zwei Fichten in einer Baumschule voll Blautannen.«
»Erthtens hättetht du auch daran denken können, und zweitenth
dauert ein genereller Uniformtausch eben Zeit«, kalmierte Winnie seine
Partnerin und damit auch sich selbst. »Komm, wir ziehen dath jetzt durch, und
dann nichtth wie weg.«
Dann gingen die beiden kurz entschlossen in den Schankraum
und reklamierten Getränke für den Tisch der Ehrengäste.
»Der Minithter geht bald weg und hätte vorher gerne noch
etwath getrunken«, behauptete Winnie forsch. »Ich nehme Ihnen dath hier einmal
ab«, meinte er zu Rita, die eben ein volles
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