Florentinerpakt
Tablett schultern wollte. »Man muth
helfen, wann immer eth geht.«
Erstaunt betrachteten die Serviererinnen den eloquenten
Zuzler, der ihnen die Arbeit abnehmen wollte. Tatjana, die sich zwei Ein-Liter
Karaffen geschnappt hatte, konnte nicht verstehen, warum Winnie sein Maul immer
so weit aufreißen musste. Nicht genug, dass er sie immer zulabern und mit
seiner Art, ein ›S‹ wie das englische ›ti eitsch‹ auszusprechen, nervte. Nein,
dann konnte er es auch in der Öffentlichkeit nicht lassen, blöd
herumzuquatschen und Aufmerksamkeit zu erregen.
Unwillkürlich musste sie aber lächeln. Als sie Winnie
kennengelernt hatte, hatte sie sein Sprachfehler an einen alten Witz erinnert:
Casting für Nachwuchssprecherinnen beim ORF. »Jetzt kommen
wir zur korrekten Aussprache ausländischer Namen«, kündigte der Tester an.
»Sagen Sie Barcelona«, forderte er eine junge Dame auf.
»Barthelona«, kam es spontan aus dem reizenden Kind heraus.
»Und jetzt noch Valencia.«
»Valenthia.«
»Bravo, ausgezeichnet, Sie kommen in die nächste Runde, mein
Fräulein.«
»Danke thön, Herr Direktor.«
Das war jetzt auch schon bald vier Jahre her, kurz nachdem
Winnies Verlobte Selbstmord begangen hatte.
In einer Ecke stellte sie die beiden Karaffen ab, holte das
Fläschchen aus ihrer Jackentasche und träufelte eine ausreichende Menge
K.-o.-Tropfen in den Wein. Nicht zu viel, doch genug, dass der eine oder andere
Gast morgen ein ordentliches Blackout haben würde. Dann blickte sie in den
weiten Hof des Lokals. Und sie wusste, in einer der dunklen Ecken würde Winnie
jetzt genauso mit den Viertelgläsern umgehen. Natürlich bestand immer die
Gefahr, dabei entdeckt zu werden. Aber das erhöhte nur den Nervenkitzel und
machte wirklich Spaß. Und, wie ihr Schnuckiputzi so treffend zu sagen pflegte:
»No rithk, no fun.«
*
Der
Innenminister entkam nur mit viel Glück dem an diesem Abend ausschließlich aus
Boshaftigkeit gepaart mit perversem Sportsgeist entspringenden Anschlag auf
seine Würde. Als ihm Winnie formvollendet und vor allem ohne dabei zu quatschen
ein Vierterl Veltliner, ›aufgebessert‹, versteht sich, reichen wollte, mahnte
Ministerialrat Dr. Schneckenburger schon zum fünften Mal zum Aufbruch. »Wir
werden seit einer halben Stunde in der Deutschen Botschaft erwartet«, rief er
Dr. Fuscheé in Erinnerung. »Sie … haaben ja so recht, Werner«, meinte der
Minister letztlich einsichtig und stellte das Glas, das er bereits zum Mund
hatte führen wollen, wieder hin. »Ich darf doch Werner zu Ihnen sagen?«
»Selbstverständlich, Herr Minister«, antwortete Michael
Schneckenburger. Wenn der Chef diese Laune hatte, widersprach man besser nicht.
Sonst übrigens auch nicht.
Der Erste, der Wirkung zeigte, war Major Kranzjenich vom BK,
der kurz aufschnaufte, nachdem er ein Glas ex und so, dann die Augen verdrehte
und leise schnarchend mit dem Kinn auf der Tischplatte aufschlug. Da man vom
ihm Ärgeres gewohnt war, fiel das aber nicht weiter auf, obwohl er sich einen
Zahn dabei ausgeschlagen hatte. Etwas später sank das ehrwürdige, müde Haupt
Altbürgermeister Ladaks auf die Schulter seiner Romy, die ebenfalls bereits am
Einschlafen war.
Richtig auffällig wurde die
Sache erst, als es einen Redakteur der ›Society‹-Redaktion erwischte. Er hatte
zwei Gläser vom Aufgebesserten ex getrunken, um sich gegen die erwartungsgemäß
unsäglich dummen Statements der Prominenten zu wappnen. Dann ging alles
blitzartig vor sich. Plötzlich riss er die Augen auf, schloss sie gleich darauf
wieder, schnaufte zweimal heftig durch und fiel wie ein gefällter Baum zu
Boden. Die Umstehenden starrten ihn ungläubig an, und eine Frau rief plötzlich:
»Er atmet nicht mehr. Hilfe, er atmet nicht mehr.« Ehe die Panik aber so
richtig um sich greifen konnte, rülpste der Journalist zweimal kräftig, ließ
einen Ordentlichen fahren und atmete wieder. Selten zuvor war unangenehmer
Geruch kollektiv so erleichtert zur Kenntnis genommen worden.
Spätestens jetzt war Wallner, Brandtner und den vielen
anderen anwesenden Vertretern der Ordnungsmacht aber klar geworden, dass etwas
nicht in Ordnung war. Aber schon gar nicht.
Zu dem Zeitpunkt befanden sich Winnie und Tatjana aber schon
wieder auf dem Weg nach Nickelshausen, zu ihrer Lodge.
Diesmal aber nicht, um ihre Wunden zu lecken, sondern um den
›Suctheth‹ zu feiern.
11
Was für ein verrückter Abend, dachte
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