Florian auf Geisterreise
die Treppe mit noch weniger Stufen, gelangte ungesehen in den Speisesaal, wo Agathe die Frühstückstische deckte.
„Nanu?“ sagte sie. „Ich wollte dich wecken, aber...“
„Später!“ unterbrach er.
Agathe verstand und stellte keine weiteren Fragen.
Neben dem Serviertisch stehend, beobachtete Florian die Tür. In zwanzig Minuten war es acht Uhr. Dann würde Tante Thekla bis zum Abend mit Kunden blockiert sein.
Zu schnell und zu langsam verging die Zeit. Florian starrte die Türklinke an. Geh endlich runter! sagte er tonlos vor sich hin. Doch sie blieb oben. Telekinetische Fähigkeiten besaß er nicht. Erst als er sich nicht mehr darauf konzentrierte, bewegte sie sich.
Mit steinerner Miene und überhaupt nicht schwungvoll kam Frau Treitschke- Zwiebenich heraus. Kaum hatte sie das Haus verlassen, stürmte Florian über die Diele und hinein.
Prüfend sahen ihn die grünen Augen an. „Na, du Filmschauspieler!“
Obwohl sie ihm keinen Anlaß dazu gab, lächelte er und hatte das Gefühl, jetzt könne ihm nichts mehr passieren.
„Du hast ja recht, wenn du dich wehrst!“ fuhr die Tante fort. „Aber eine so ausgeklügelte Schwindelei...“
„Ich fand mich sehr gut!“ bestätigte er selbstbewußt .
„Ich dich auch.“ Die Tante nickte. „Aber mich hast du in eine saudumme Lage gebracht.“
Jetzt, da sie es sagte, wurde ihm der Zusammenhang klar. „Mach mal das Fenster auf, damit das Parfüm hinausgeht“, forderte sie ihn auf. Er entsprach ihrem Wunsch, und sie fuhr fort: „Sie erzählte mir ihre Geschichte und fragte mich, wer dahintersteckt. Ich konzentriere mich, und wen sehe ich...? Zum Glück war meine Versenkung nicht tief, ich konnte mich gerade noch bremsen. Aber was jetzt? Um meinen guten Ruf nicht zu gefährden, mußte ich ihr etwas sagen, was stimmt. Gleichzeitig aber sollte ich schwindeln. Wegen dir!“
Bestürzt sah er sie an. „Das wollte ich nicht, Tante. Das hab ich nicht bedacht.“
„Ich weiß!“ beschwichtigte sie ihn. „Mit uns Paranormalen kann man nicht normal rechnen.“
Sie lächelte, und, frisch beruhigt, wurde Florian sofort neugierig. „Wie hast du dich denn rausgewunden?“
„Du wirst lachen“, sagte sie. „Mir fiel nichts ein. Hellseher sind für Lügen unbegabt. Also hab ich ihr die Wahrheit gesagt.“
„Tante!“
Sie hob den Zeigefinger. „Laß mich ausreden! Dahinter steckt ein Mann — hab ich gesagt. Es ging nicht anders. Sonst verdächtigt sie ihre Angestellten, und die müssen darunter leiden. Nun wollte sie natürlich wissen, wer der Mann ist. Was macht man da?“
„Mach’s nicht so spannend!“ drängte Florian.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab’s sogar noch spannender gemacht. Ein Mann aus Neustadt — hab ich gesagt. Ich dachte, so kommt sie am wenigsten darauf, weil du ja hier bist. Beschreiben werde ich Ihnen diesen Mann nicht — hab ich gesagt. Das würde nur ständigen Ärger geben. Im Grunde ist es Ihre Schuld. Sie haben ihn einmal schlecht behandelt, unbewußt — hab ich gesagt — , jetzt hat er sein Mütchen gekühlt, und die Sache ist aus der Welt. Vergessen Sie’s! Und weil sie so hysterisch ist, hab ich aus der Sache noch einen Ratschlag herausdestilliert: Sie neigen überhaupt dazu, Menschen vor den Kopf zu stoßen mit Ihrer Art — hab ich gesagt — , darauf sollten Sie in Zukunft mehr achten!“
„Mensch, Tante Thekla!“ Florian hatte sich auf der Sessellehne niedergelassen und umarmte sie.
„Bedanke dich bei Onkel Charlie!“ wehrte sie ab. „Er hat mich auf die Idee gebracht. In letzter Minute.“
„Und wie mach ich das?“ Kontakt mit seinem verstorbenen Onkel aufzunehmen, das überstieg Florians Vorstellungskraft. „Sag’s einfach. Er hört dich schon!“ schlug die Tante vor.
Da hob er die Hände, schaute nach oben und rief: „Dank dir, Onkel Charlie! Du warst meine Rettung.“
„Nun, ein bißchen habe ich auch dazu beigetragen“, meinte Tante Thekla. „Ja, mein Lieber. Und jetzt bekommst du einen Dämpfer. Aus deiner Filmerei wird nichts!“
Für eine Sekunde stand Florian starr neben ihrem Sessel. Dann lächelte er. „Das darf nicht wahr sein! Hab ich’s also doch gespürt!“
„Ich sag dir ja, du bist medial begabt.“ Ernst sah ihn die Tante an. „Es würde ein Unglück geben. Der Regisseur möchte, daß du ruderst. Während das Boot auf den Steg zutreibt, fällt ein Schuß. Derjenige, der auf der Ruderbank sitzt, wird getroffen. Sitzt niemand dort, schlägt die Kugel mit voller Wucht
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