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Flossen weg

Flossen weg

Titel: Flossen weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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worden.«
    »Hier steht, du hast zuletzt als ›Forensischer Kalligraph‹ gearbeitet. Was ist das? Handschriftenanalyse?«
    »Äh, nein. Eigentlich hatte ich mich selbständig gemacht, um Abschiedsbriefe von Selbstmördern zu verfassen.« Keine Spur von Pidgin mehr in seiner Sprache, nicht der leiseste Hauch von Reggae. »Ist nicht so gut gelaufen. Auf Hawaii will sich keiner umbringen. Ich glaube, wenn ich es zu Hause in New Jersey angefangen hätte, oder vielleicht in Portland, wäre es bestimmt gegangen. Sie wissen ja, wie es mit guten Geschäften ist: Der Standort ist entscheidend.«
    »Ich dachte, das gilt nur für Immobilien.« Clay spürte allen Ernstes den leisen Stich einer verpassten Chance, denn wenn er auch ein abenteuerliches Leben führte und genau das tat, was er tun wollte, und obwohl er sich oft wie der unintelligenteste Mensch weit und breit fühlte (da er sich mit Wissenschaftlern umgab), merkte er jetzt, während er mit Kona sprach, dass er sein Potenzial als selbstbetrügerischer Dickkopf nie ganz ausgeschöpft hatte. Aaaahh … welch schmerzliches Bedauern! Clay mochte diesen Jungen.
    »Sehen Sie, ich bin ein Wassermensch«, sagte Kona. »Ich kenn mich mit Booten aus, mit Ebbe und Flut, mit den Wellen. Ich liebe das Meer.«
    »Hast du Angst davor?«, fragte Clay.
    »Absolut.«
    »Gut. Wir treffen uns morgen früh um halb neun auf dem Anleger.«
     
    Mittlerweile kratzte Nate an den kreuz und quer verlaufenden Pflastern an seiner Stirn herum, während Clay in der anderen Ecke des Zimmers unter dem Tisch die wasserdichten Kisten mit der Kameraausrüstung durchwühlte. Der Einbruch und der darauf folgende Wirbelwind an Aktivitäten hatten ihn ganz von dem abgelenkt, was ihm am Morgen über den Weg gelaufen war. Langsam sank eine schwarze Wolke aus Selbstzweifeln auf ihn nieder, und er fragte sich, ob er das, was er gesehen hatte, Clay überhaupt erzählen sollte. In der Welt der Verhaltensforschung existierte nur, was auch veröffentlicht war. Egal, wie viel man wusste … real wurde es erst, wenn es in einer wissenschaftlichen Zeitschrift geschrieben stand. Im Alltag dagegen war eine Veröffentlichung sekundär. Wenn er Clay erzählte, was er gesehen hatte, würde es urplötzlich real werden, und er war gar nicht sicher, ob er das wirklich wollte – genau wie die Sache mit Amy oder die schmerzliche Erkenntnis, dass seine jahrelangen Forschungen verloren waren.
    »Wieso musstest du eigentlich Amy rausschicken?«, fragte Clay.
    »Clay, ich sehe nichts, was nicht auch wirklich zu sehen ist, okay? Ich meine, in der ganzen Zeit, die wir jetzt zusammen arbeiten, habe ich nie irgendwas behauptet, bevor ich nicht die entsprechenden Daten hatte, um es auch beweisen zu können, stimmt’s?«
    Clay blickte von seiner Inventarliste auf und sah die bestürzte Miene seines Freundes. »Hör mal, Nate, wenn dir der Junge solche Sorgen bereitet, können wir uns auch einen anderen suchen …«
    »Es geht nicht um den Jungen.« Nate schien abzuwägen, was er sagen sollte, doch dann sprudelte es auf einmal aus ihm heraus. »Clay, ich glaube, auf der Schwanzflosse von diesem Sänger heute Morgen standen zwei Worte geschrieben.«
    »Eine Narbenzeichnung, die nach Buchstaben aussah? So was hab ich auch schon gesehen. Ich hab ein Bild von einem Delphin mit Bissspuren an der Seite, die aussehen wie zap. «
    »Nein, es war was anderes. Keine Narben. Da stand ›Flossen weg!‹.«
    »Mh-hm«, machte Clay und gab sich alle Mühe, dass es nicht so klang, als würde er denken, sein Freund habe nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. »Na ja … dieser Einbruch, Nate, der hat uns alle irgendwie erschüttert.«
    »Das war vorher. Ach, ich weiß auch nicht. Ich glaube, es müsste auf dem Film zu sehen sein. Deshalb bin ich ja reingekommen, um ihn gleich ins Labor zu bringen, aber da habe ich dann die Schweinerei hier entdeckt. Also habe ich den Jungen mit meinem Truck rüber zum Labor geschickt, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass er ein Krimineller ist. Warten wir, bis er mit dem Film zurückkommt, okay?« Nate drehte sich um und starrte auf den Schreibtisch voller Drähte und Teile, als hätte er sich in seinen Überlegungen verstrickt.
    Clay nickte. Ganze Tage hatte er mit dem schlaksigen Wissenschaftler auf dem selben Acht-Meter-Boot verbracht, und sie hatten nicht mehr zueinander gesagt als »Sandwich?« und »Danke.«
    Wenn Nate bereit wäre, ihm mehr zu erzählen, würde er es tun. Bis dahin wollte er ihn nicht bedrängen.

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