Flowertown - Die Sperrzone
Alters und ihrer geringen Körpergröße verfügte sie über eine kräftige Stimme. »Die packen uns in dieses Gebäude, in dieses ›Seniorenzentrum‹, und behaupten, dass es für alleinstehende Frauen unseres Alters der sicherste Ort sei. Ich besaß früher einmal ein Haus!« Die Menge feuerte sie an, fortzufahren. »Viele von uns hatten Häuser und wir mussten sie aufgeben, und für was? Für Sicherheit? Für Komfort? Was glaubt ihr, wie komfortabel es ist, wenn sechzehn alte Frauen in einem Gebäude leben, in dem die Hälfte der Zeit die Toilettenspülung nicht funktioniert?« Eine größere und ältere Frau neben ihr hievte einen schweren Brocken Asphalt nach oben und stimmte in ihre Klagen mit ein. »Verflucht noch mal, wir können froh sein, wenn wir es die Hälfte der Zeit überhaupt bis zur Toilette schaffen, also komme bloß keiner und sage, wir überlasten das System!« Die Zuhörer brachen in Gelächter aus und die kleinere der Frauen sprach weiter. »Wir wollen keine Spezialbehandlung. Wir wollen nur sichere und hygienische Lebensbedingungen und ein paar wenige gottverdammte Klimaanlagen, bevor die Auffanggräben anfangen zu stinken!«
Überall rund um das Gebäude riefen und klatschten die Leute. Allen graute es vor den nicht mehr weit entfernten Tagen, wenn das Wasser der Frühlingsregenschauer in den Auffanggräben, die sich um die Stadt zogen, nach den Spezialreinigern stinken würde. Irgendwo hinter Ellie begann jemand zu skandieren: »So viel du willst! So viel du willst!« und bald erbebte der ganze Bürgersteig von den Worten. Ein junger Mann neben ihr wollte seinen Arm um Ellie legen und mit ihr schunkeln, aber sie schob ihn beiseite und bahnte sich ihren Weg durch das Gewühl. Orchestrierte Demonstrationen waren nicht ihr Ding.
Gerade als sie den größten Pulk hinter sich hatte, ging der Chor in Buhrufe und Pfiffe über. Sie schaute über ihre Schulter zurück und sah, wie ein Soldat in Kampfausrüstung auf die Anführerin der Steinewerferinnen zuging. Er wich nicht zurück, als sie den Ziegelstein in ihren Händen hoch nach oben hielt. Stattdessen klappte er sein Visier auf und trat noch näher an sie heran. Alles an seiner Haltung wirkte entspannt. Mit seiner Ausrüstung sah er aus wie der Catcher einer seltsamen Baseballmannschaft auf dem Weg zum Wurfmal, um sich mit dem Werfer zu besprechen. Die Frau ließ ihren Ziegelstein langsam nach unten sinken und ihre Freundin legte ihren Brocken Asphalt auf den Boden. Die drei rückten enger zusammen, und ein paar andere Frauen, die auf dem Rasen gestanden hatten, kamen näher, um zuzuhören. Die Menge beruhigte sich, selbst die Funkapparate des Militärs hörten auf zu krächzen. Niemand konnte auch nur einen Ton des Gesprächs verstehen, bis der Soldat über seine Schulter hinweg mit dem Daumen auf einen dicken, schwitzenden Soldaten zeigte, der oben auf einem Jeep hockte, und die kleinere der Frauen ihren Kopf zurücklegte und gackernd lachte.
Dann lachten alle Frauen, und der Soldat zuckte mit den Achseln. Er wendete sich der Menge zu, und die Frauen kehrtenzu ihrem Gebäude zurück. Gespannt wie alle anderen, beobachtete Ellie, wie er seinen Helm abnahm und ihn unter dem Arm festklemmte. Es war Guy. Es überraschte sie, dass sie seinen wiegenden Gang nicht erkannt hatte. Während Guy zurück zu seinem Konvoi ging, sprach er so laut, dass die versammelte Menge deutlich seinen Bostoner Dialekt heraushören konnte.
»Krise beigelegt, Sir. Ich habe ihnen versprochen, dass wir umgehend einen Dienst kommen lassen, der ihre Toiletten repariert. Natürlich haben sie meinen Worten keinen Glauben geschenkt, also musste ich noch einen draufsetzen.« Mit einem Blick zur Seite vergewisserte er sich der ungeteilten Aufmerksamkeit seines Publikums. »Ich habe ihnen gesagt, die gute Nachricht ist, dass einer unserer Jungs einen Striptease für sie tanzt. Die schlechte Nachricht war, dass Fletcher den Striptease hinlegen würde.« Er deutete wieder auf den dicken Soldaten, auf den er schon während des Kriegsrates gezeigt hatte. Selbst die Armeejungs mussten lachen. Fletcher zeigte ihm den Mittelfinger, und der Konvoi löste sich auf. Guy und ein paar andere Männer in Kampfausrüstung schritten durch die Menge, um die Ansammlung aufzulösen.
»Los, los, auf geht’s, weitergehen.« Guy wedelte mit den Armen, während er den Bürgersteig entlangging. Ellie blieb, wo sie war, und beobachtete, wie ihm die Menge gehorchte und zurück auf die Straße wich.
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