Flowertown - Die Sperrzone
Dabei verfing sich die Plastiktüte an irgendetwas im Gully, das Ellie nicht sehen konnte, und riss entzwei. Notgedrungen musste sie die Akten und die Zeitung ohne den wichtigen Sichtschutz hervorholen. Die Schachtel mit den Salzcrackern lag zerquetscht in der Tüte; trotzdem holte Ellie sie heraus und legte sie ganz nach oben auf den Haufen. Sie hatte keine Wahl, sie musste das Bündel offen mit sich herumtragen.
Sie ging langsam genug, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und schlenderte aus dem Arbeitsbereich, als sei es das Natürlichste der Welt.
Sie horchte, ob jemand nach ihr rufen oder anderweitig Alarm schlagen würde. Sie wollte die Akten auf ihr Zimmer tragen, und nachdem sie zwei Straßenblöcke zurückgelegt hatte, entspannte sie sich allmählich. Niemand hatte gesehen, wie sie etwas aus dem Gully geholt hatte. Niemandem waren die Akten aufgefallen. Sie drückte den Packen eng an ihren Körper, und plötzlich fiel ihr ein, dass diese Akten vielleicht die einzigen aus dem Archiv waren, die noch existierten. Sie waren auch die einzige Verbindung zu ihrem alten Job. Ihre Gedanken wanderten wieder zu Big Martha. Sie entschied, ins Pflegezentrum zu gehen und nach ihrer Chefin zu fragen, sobald sie die Akten an einem sicheren Ort verstaut haben würde. Bing würde sich bis dahin hoffentlich abgeregt haben und zu Hause sein, sodass er sie begleiten könnte.
Als sie an Dingles Supermarkt vorbeikam, der auf der anderen Straßenseite lag, schaute sie in das Fenster hinein und winkte Annabeth zu, die im vorderen Bereich ihres Ladens stand und mit einer Kundin die beinahe leeren Obst-und Gemüsekisten durchforstete. Ellie nahm von der anderen Person kaum Notiz. Sie konnte nicht viel mehr als einen Pferdeschwanz erkennen. Dann hielt sie an. Doch. Sie hatte mehr als einen Pferdeschwanz erkannt. Sie ging zurück, um sich zu vergewissern. Zwar trug die Frau keinen blassblauen Laborkittel, aber selbst von der anderen Straßenseite aus konnte Ellie klar das große, erdbeerförmige Geburtsmal erkennen. Annabeth Dingle unterhielt sich mit Olivia, der Laborantin, die ihr an einem Tag, an dem das Gesundheitszentrum angeblich geschlossen war, Blut abgenommen hatte.
Ein plärrendes Hupen, und Ellie sprang von der Straße zurück auf den Gehweg. Der Fahrer des Kipplasters, der mit Trümmern aus der Explosion beladen an ihr vorbeibrauste, zeigte ihr den Mittelfinger. Ellie registrierte die vulgäre Geste kaum, so sehr war sie von dem Gedanken besessen, zu Dingles Supermarkt zu gelangen und Olivia zur Rede zu stellen, aber als der Kipplaster vorbeigefahren war und dann noch ein Armeelaster von der anderen Seite her ihren Weg kreuzte, war das Schaufenster des Supermarktes leer. Ellie eilte über die Straße, wobei sie einen Feno-Laster zum Anhalten brachte, und rannte in den Laden.
»Hi, Ellie.« Annabeth winkte ihr von der Auslage für Toilettenpapier freundlich zu. »Es freut mich, zu sehen, dass es dir gut geht. Als ich von dieser Explosion hörte, habe ich sofort an dich gedacht. Was für eine furchtbare Sache. So viele Leute wurden verletzt.«
»Ja, ich weiß. Es war schrecklich.« Ellie wollte der alten Frau gegenüber nicht unhöflich sein, aber sie musste Olivia finden. Schnell lief sie jeden Gang des Ladens ab, aber sie sah nur zwei junge Männer und ein Mädchen im Teenageralter.
»Wo ist die Frau hin, mit der du gerade noch gesprochen hast?«
»Frau?« Annabeth lugte um die Ecke.
»Eine junge Frau. Dunkles Haar, Pferdeschwanz, Geburtsmal im Nacken.«
Annabeth schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich nicht daran, jemanden gesehen zu haben, auf den diese Beschreibung zutrifft. Aber sage es nicht den Kindern weiter, dass ich nicht so gut aufpasse. Es ist ohnehin kaum etwas da, das man klauen könnte.«
»Nein, nein, du hast gerade noch mit ihr geredet. Vor einer Sekunde.«
Ellie deutete auf die Kisten für Obst und Gemüse. »Sie stand genau dort. Ihr habt die Kartoffeln angeschaut, oder was auch immer es war.«
Die alte Frau lachte. »Meine Augenstärke müsste schon ziemlich gut sein, Ellie, um hier eine Kartoffel zu entdecken. Wir haben seit zwei Wochen keine Kartoffeln mehr.«
»Es spielt keine Rolle, ob es Kartoffeln waren. Du hast mit ihr gesprochen.« Ellie bemerkte, wie einer der jungen Männer seinen Blick über den Gang auf sie richtete, als er hörte, wie ihre Stimme lauter wurde, und sie sprach wieder leiser. »Ich meine, ich weiß natürlich nicht, über was ihr geredet habt. Ich habe mich
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